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Von der Frauen- zur Geschlechterforschung

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Von der Frauen- zur Geschlechterforschung

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Die Anfänge der (sozialwissenschaftlichen) Frauenforschung in Westdeutschland werden im Kontext der neuen Frauenbewegung Ende der 1960er/70er Jahre gesehen (siehe auch: Geschichte der Frauenbewegung im bundesdeutschen Kontext). Doch Frauenforschung wurde bereits schon früher in der Vergangenheit betrieben:

Im Zusammenhang der „ersten“ Frauenbewegung (Ende 19./Anfang 20. Jahrhundert) entstanden eine Reihe von Studien, die sich mit der Lebenssituation und den sozialen Problemen von Frauen beschäftigten. Autorinnen waren Frauen, die den unterschiedlichen Frauenbewegungen und ihren Zielen nahestanden (z.B. Alice Salomon, Elisabeth Gnauck-Kühne, Marie Baum). Die Arbeiten hatten für soziale und politische Reformbestrebungen der jeweiligen Zeit einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Untersuchungsfelder waren beispielsweise die Situation von Arbeiterinnen, die ungleiche Entlohnung von Frauen und Männern oder die Nicht-Anerkennung von (weiblicher) Hausarbeit. Bemerkenswert ist, dass die meisten dieser „ersten Frauenforscherinnen“ aus formalen akademischen Bildungszusammenhängen ausgeschlossen waren und sich autodidaktisch, über individuelle Lektüre oder die private Förderung durch Wissenschaftler ihr Wissen angeeignet haben. Nur wenige privilegierte Frauen konnten im Ausland studieren. Ihre Forschungen wurden daher in den wissenschaftlichen Diskursen ihrer Zeit kaum rezipiert – ein Desiderat, das sich bis heute hält.

Die Anbindung an feministische Ziele und Forderungen war auch zu Beginn der Frauenforschung ab den 1960er Jahren prägend. Ausgangspunkte waren die vielfältigen Diskriminierungen von Frauen in Gesellschaft und Wissenschaft und die Nicht-Wahrnehmung ihres Lebens und Handelns.

"Frauen forschen über, mit und für Frauen."  (Behnke / Meuser 1999*)

Gefordert wurde eine wissenschaftskritische Perspektive, die den Androzentrismus von Forschung und Theoriebildung infrage stellt und ihm eine feministische Position entgegensetzt. Forschungsergebnisse sollten emanzipatorisch auf soziale und politische Prozesse angewendet werden und ihrer Veränderung dienen. Zentrale Felder des Interesses und der Analyse waren (und sind) die alltägliche gesellschaftliche Situation von Frauen z.B. in Familien oder im Erwerbsleben. Es wurden aber auch gesellschaftliche (und wissenschaftliche Tabuthemen) wie Gewalt gegen Frauen oder sexueller Missbrauch aufgegriffen. Kontroverse Diskussionen gab es zwischen Ansätzen, die die Egalität der Geschlechter betonen und solchen, die eine Differenz-Perspektive einnehmen.

Das Verhältnis zur Frauenbewegung wurde schnell Ort von Kontroversen innerhalb und außerhalb der Frauenforschung. Frauenforschung kann in allen Disziplinen stattfinden und wird dort von den jeweiligen Fachvertreter/inne/n realisiert. Sie hat keine einheitliche Theorie oder Methode.

"Ich sehe die Frauenforschung vielfältig präsent, diversifiziert politisch und in der Gesellschaft bereits mit den Auswirkungen ihrer eigenen Aktivität konfrontiert. Sie spricht mit, die mischt sich ein, sie kann nicht mehr ohne weiteres übergangen werden." (Ursula Müller 1994*)

Die Entwicklung von der Frauen- zur Geschlechterforschung lässt sich nicht als historische Abfolge verschiedener Phasen, die einander ablösen, hin zu einem (vorläufigen) Endpunkt beschreiben. Es handelt sich vielmehr um eine Verschiebung und Pluralisierung der Perspektive/n. Das heißt, Geschlechterforschung hat Frauenforschung nicht abgelöst, sondern um neue Fragestellungen ergänzt. In den Blick rücken zunächst Geschlechterverhältnisse. Frauen werden im Kontext vielgestaltiger gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Es findet eine Verschiebung des Erkenntnisinteresses statt: Die Vorstellung einer einheitlichen unterdrückten Gruppe von Frauen weicht der Betrachtung von vielfältigen Unterschieden und Gemeinsamkeiten sowie Verschränkungen mit anderen Dimensionen, die soziale Ungleichheiten und (Geschlechter-) Hierarchien beeinflussen. Zeitgleich entsteht in den 1980er Jahren in Deutschland (in anderen Ländern bereits früher) eine Männer- bzw. Männlichkeitsforschung, die weitere wichtige Impulse setzt. Auch sozialkonstruktivistische Ansätze sind einflussreich für die Entwicklung der Geschlechterforschung: Geschlecht wird als sozial konstruiert verstanden und das Interesse liegt darin zu untersuchen, wie und wo Geschlecht, Geschlechtlichkeit und Geschlechterdifferenzen hergestellt, reproduziert und (potenziell) verändert werden. In den Blick geraten dabei alle Aspekte gesellschaftlichen Lebens (z.B. soziale Situationen, Strukturen, Repräsentationen, Institutionen, Wissensformen, aber auch z.B. Architektur oder Physik). Sie können als Orte der Konstruktion von Geschlecht betrachtet und analysiert werden, das heißt als vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Elemente von Gesellschaft. Klassische Arbeitsfelder der Geschlechterforschung sind unter anderem Arbeit, Politik und Ökonomie, Körper und Gesundheit, Zweigeschlechtlichkeit, Medien, Bildung und Gleichstellungspolitiken, wobei grundsätzlich überall Geschlechterforschung stattfinden kann. Auch dekonstruktivistische und poststrukturalistische Ansätze haben wichtige Perspektiven eröffnet. So wird Geschlecht zunehmend selbst als Kategorie analysiert. Geschlechterforschung zeichnet ihre Inter- bzw. Transdisziplinarität in einem klassischerweise disziplinär organisierten wissenschaftlichen Umfeld aus, damit nimmt sie weiterhin eine potenziell wissenschaftskritische Position ein. Sie will Disziplingrenzen überdenken und Setzungen und Ausschlüsse hinterfragen. Überschneidungen und vielfältigen Austausch gibt es mit anderen Theorien, zum Beispiel postkolonialen Ansätzen oder Queer Theorie.

Mit der Entwicklung der Frauen- und Geschlechterforschung ging eine zunehmende Institutionalisierung einher. Bereits in den 1970er Jahren fand die erste Frauenuniversität in Berlin statt, wo die heterogenen Ansätze der beteiligten Wissenschaftlerinnen und mögliche Fortentwicklungen deutlich wurden. In den 1980er Jahren entstanden an Universitäten erste Frauen- und Geschlechterforschungszentren und Forscher/innengruppen. Insbesondere seit den 1990er Jahren hat es einen „Institutionalisierungsschub“ gegeben: Es gibt Studienschwerpunkte, Wahlfächer und eigene Studiengänge im Bereich der Geschlechterforschung (MA Gender Studies // Gender Curricula) Insgesamt gibt es über 100 Professuren mit einer Voll- oder Teildenomination in Frauen- und/oder Geschlechterforschung in den jeweiligen Herkunftsdisziplinen der Wissenschaftler/innen. Untereinander sind die verschiedenen, vielfältigen Forschungseinrichtungen in der Konferenz der Einrichtungen für Frauen- und Geschlechterstudien im deutschsprachigen Raum (KEG) vernetzt. Seit Januar 2010 gibt es zudem die Fachgesellschaft Geschlechterstudien für Forschende, Lehrende und Studierende. Heute gibt es an fast allen deutschen Hochschulen die Möglichkeit sich mit den Fragen und Arbeitsweisen der Frauen- und Geschlechterforschung auseinanderzusetzen.

Weiterführende Literatur:

Braun von, Christina; Stephan, Inge (Hg.): Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien. 1. Aufl. Köln: Böhlau 2005.

Buchen, Sylvia; Helfferich, Cornelia; Maier, Maja S. (Hg.) (2004): Gender methodologisch. Empirische Forschung in der Informationsgesellschaft vor neuen Herausforderungen. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Kahlert, Heike (Hg.) (2005): Quer denken - Strukturen verändern. Gender Studies zwischen Disziplinen. 1. Aufl. Wiesbaden: VS.

Lenz, Ilse (2009): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied; ausgewählte Quellen. Wiesbaden.

*Behnke, Cornelia; Meuser, Michael (1999): Geschlechterforschung und qualitative Methoden. Opladen, S.28

*Diezinger, Angelika (1994): Erfahrung mit Methode. Wege sozialwissenschaftlicher Frauenforschung. Freiburg, Klappentext.

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