Der Arbeitsbereich „Historische Bildwissenschaft/Kunstgeschichte“ hat sich seit seiner Einrichtung im Jahr 2012 zu einem lebendigen Ort innovativer Forschungen zur Kunst- und Bildgeschichte entwickelt. Neben individuelle Forschungsvorhaben treten dabei Projekte, die durch Drittmittelgeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder das Bundeministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden. Viele der Forschungsinteressen am Arbeitsbereich vereint das gemeinsame Interesse an rezeptionsästhetischen und bildtheoretischen Fragestellungen.
Aktuell werden am Arbeitsbereich die folgenden Projekte mit Drittmittelförderung bearbeitet:
Teilprojekt im Sonderforschungsbereich 1288 „Praktiken des Vergleichens“
Das Teilprojekt rückt die Frage nach den medialen Bedingungen von Vergleichspraktiken ins Zentrum. Es fragt danach, auf welche Weise Aufzeichnungsmedien wie Fotografie, Film, Video und digitale Bildverarbeitung immer auch neue Vergleichsdispositive ermöglicht und damit historischen Wandel beeinflusst haben.
Anhand der Arbeiten von Harun Farocki, die vergleichend mit und über Vergleichsanordnungen reflektieren, soll damit der praxistheoretische Zugang des SFB um eine medientheoretisch informierte Perspektive ergänzt werden.
Leitung: Prof. Dr. Helga Lutz
ProjektmitarbeiterInnen: Martina Klaric und N.N.
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte Kooperationsprojekt befindet sich seit dem 1.4.2017 in der zweiten Förderphase und ist an den Universitäten Weimar, Bochum, Frankfurt am Main, Basel, Zürich, Bielefeld sowie an der Akademie der Bildenden Künste München angesiedelt.
Die Forschergruppe untersucht die Kulturtechnik der Mimesis vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der Medienforschung. Dabei geht das Vorhaben über die in den Kultur- und Literaturwissenschaften ebenso wie in der Philosophie bislang dominierende ästhetische und epistemische Betrachtung der Mimesis hinaus und stellt das geschichtsphilosophische Selbstverständnis der Moderne als eine grundlegend a-mimetische kulturelle und soziale Formation infrage. Mimesis und imitatio werden nicht länger in die Perspektive einer zu überwindenden Vorgeschichte der Idee des schöpferischen Menschen und seiner Werkherrschaft gestellt. Anstatt die Mimesis in einen Gegensatz zur modernen Technik und der auf ihr beruhenden Zivilisation zu manövrieren und sie als mit dem konstruktivistischen Selbstverständnis der Neuzeit grundsätzlich unvereinbar anzusehen, verfolgt das Projekt auf unterschiedlichen Ebenen die kultur- und sozialitätskonstitutive Funktion mimetischer Praktiken.
Die Forschergruppe besteht aus vier Teilprojekten.
Das Teilprojekt
„Einbetten, Aufklappen, Anhängen. Mimesis des Hybrid-Objekts (Standorte Bielefeld und Weimar)
vertieft den Begriff der ‚exzessiven Mimesis‘ und übersteigt ihn zugleich. Insofern unterschiedlichen Phänomenen exzessiver Mimesis Schwellenzustände oder Grenzüberschreitungen im weitesten Sinne zugrunde liegen, die heterogene Wirklichkeiten koppeln oder ambiguisieren, konkretisieren sich diese Schwellenzustände und Grenzüberschreitungen in der technischen Form hybrider Medien.
Einerseits schließt das TP an Theorien an, mit deren Hilfe Objekte als hybride Kollektive aufgefasst werden können, andererseits richtet sich das Interesse des TP jedoch konkret auf Formen einer Mimesis, die darstellt, indem sie amalgamiert, verkettet, einbettet und ‚reenactet‘ – die mithin auf Operationen der materialen Hybridisierung heterogener Seinsordnungen beruht. Die mimetische Darstellung ist dabei nicht auf die Schaffung von Fiktion aus, sondern auf die Produktion von faitiches (Latour), auf die Schaffung oder Sicherung hybrider Realitäten. Faitiches lösen die ontologische Differenz von Sprache und Welt, von Konstruktivismus und Realismus in eine Kette von Übersetzungen auf, die sich konkret in Hybridobjekten materialisieren.
Das TP wendet sich drei Gegenstandsbereichen zu, deren Untersuchung jeweils einen bestimmten Aspekt von Hybridobjekten akzentuiert.
Intarsien. Die Grenze zwischen Bildwelt und Betrachterwelt, die das Trompe-l’oeil zu durchstoßen sucht, wird im Fall der tarsie prospettiche komplett aufgehoben; das Bild ist nicht der Realität entgegengesetzt, sondern ist in sie eingelassen (in Architektur und Möblierungen). Die Verschränkung zwischen Bildträger und Bildzeichen ist nicht an die Operation der Rahmung gebunden, sondern greift tendenziell auf ganze Räume über (wie etwa im Fall des Studiolo di Federico da Montefeltro in Urbino).
Klapp- und faltbare Bildträger, die unter den allgemeinen Begriff von Scharniermedien gefasst werden können, lassen als bewegliche technische Gefüge den prozessualen Aspekt von Hybridobjekten in den Vordergrund treten. Scharniermedien prozessieren Übergängigkeiten zwischen verschiedenen Existenzweisen wie dem Profanen und dem Sakralen (im Fall von Diptychen und Triptychen), realen und fiktionalen Objekten, zwischen dem Visuellen und dem Haptischen, zwischen ‚Denkakten‘ und ‚Medienakten‘. Das Exzessiv-Mimetische zeigt sich im Fall von Scharniermedien in Form der gegenseitigen Inanspruchnahme von technischen und semantischen Operationen, aber auch von Natürlichem und Übernatürlichem. Im Rahmen dieses Arbeitsschritts werden daher auch außereuropäische Klappobjekte wie z.B. die Transformationsmasken der Kwakwaka'wakw an der amerikanischen Northwest Coast berücksichtigt werden.
Quasi-Objekte. Schließlich will das Projekt die theoriegeschichtlich vorhandenen Bezüge zwischen der Theorie des faitiche und der Theorie des Quasi-Objekts, wie sie von Serres entwickelt worden ist, anhand einer dritten Serie von Hybridobjekten zu entfalten: am Körper tragbarer, klappbarer Amulette, Miniaturanhänger und -reliquiare. Bei diesen tritt (neben dem Aspekt der Subjekt-Objekt-Relation) der Praxis-Aspekt von Hybridobjekten in den Vordergrund (ihre Gebrauchsweise), durch den sie zu Mit-Akteuren bei der Konstruktion genealogischer, politischer und sozialer Identität werden.
Das Eingelassensein des Bildes in die Realität durch die Intarsie, der performative Vollzug von Transitionen zwischen heterogenen Ontologien mittels Scharniermedien und die gegenseitige Bindung von sakralen und politischen Körpern durch Quasi-Objekte: Dies sind die drei Aspekte von Hybridobjekten, die das TP für ein vertieftes und erweitertes Konzept exzessiver Mimesis fruchtbar machen will. Mimesis wird als eine spezielle Agency ausgezeichnet, die (ästhetische, politische, soziale) Realität schafft und sichert, indem sie Serien von Differenzen ambiguisiert und zu hybriden Ensembles verkoppelt.
Leitung: Prof. Dr. Helga Lutz und Prof. Dr. Bernhard Siegert ProjektmitarbeiterInnen: N.N. (Universität Bielefeld) und Linda Keck, M.A. (Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Medien)
Teilprojekt im Sonderforschungsbereich 1288 „Praktiken des Vergleichens“
Für die vergleichende Betrachtung von Bildern gilt in besonderem Maße, was für das Vergleichen allgemein kennzeichnend ist: Die Praxis des Bildvergleichs ist so vertraut und tritt derart ubiquitär auf, dass sie kaum hinterfragt und reflektiert wird. Das vergleichende Sehen gilt nicht nur als zentrale Methode der Disziplin Kunstgeschichte, sondern wird auch in zahlreichen anderen Kontexten an Bildern, Objekten und Phänomenen eingesetzt, um den Blick zu schärfen, Ähnlichkeiten zu identifizieren oder Unterschiede zu erfassen. Wie selbstverständlich die Praxis des Bildvergleichs ist, zeigt sich u. a. in der weit verbreiteten paarweisen Zusammenstellung von Bildern zu Pendants, sie ist aber auch in anderen Kontexten geläufig und wird durch neue, zunehmend einfachere Techniken der Reproduktion noch erleichtert.
Beim vergleichenden Sehen tritt besonders deutlich hervor, dass sich der Vergleich nicht auf eine kognitive oder logische Operation reduzieren lässt, sondern als komplexe und voraussetzungsreiche Praxis anzusprechen ist: Das vergleichende Sehen ist nicht ohne eine körperliche Tätigkeit, die Bewegung von Augen und Kopf, zu denken und hat zur Voraussetzung, dass die comparata in räumlicher Nähe zueinander stehen. Wie stark das vergleichende Betrachten von Bildern in technische und mediale Dispositive hineinwirkt, veranschaulicht das Beispiel der Diadoppelprojektion in der kunsthistorischen Lehre oder die gezielte Disposition von Bildern bei der Gestaltung von Buchpublikationen. Das vergleichende Sehen lässt sich daher nur angemessen erfassen, wenn es – ganz im Sinne des praxistheoretischen Ansatzes des SFB – in seiner körperlichen, materiellen und kontextuellen Situiertheit sowie in seinem performativen Vollzugscharakter analysiert wird.
Das Teilprojekt setzt sich zum Ziel, die vergleichende Betrachtung von Bildern als eine Praxis zu untersuchen und dabei insbesondere nach deren Voraussetzungen, Leistungen, aber auch Implikationen und Grenzen zu fragen. Ein besonderes Augenmerk gilt zum einen den Vorentscheidungen, die ganz unvermeidlich getroffen werden, wenn Bilder zusammengestellt werden, um zu einem vergleichenden Sehen anzuregen. Zum anderen soll gezielt danach gefragt werden, welche Zurichtungen und Einschränkungen des Wahrnehmungsprozesses mit dem Vergleich von Bildern einhergehen. Mit dem Anliegen, die systematischen Voraussetzungen und Implikationen des Bildvergleichs genauer zu beschreiben, verbindet sich zugleich eine historische Fragestellung. Die Untersuchung ausgewählter Konstellationen im 18. und frühen 19. Jahrhundert soll es erlauben, exemplarisch die Historizität von Praktiken des vergleichenden Sehens in den Blick zu nehmen. Im Zentrum steht dabei ein Zeitraum, der nach kunsthistorischem Verständnis als Beginn der Moderne gilt. Das Projekt soll daher auch nach einem möglichen Wandel der Praktiken des vergleichenden Sehens im Umbruch zur Moderne fragen.
In Untersuchungen zur kennerschaftlichen Praxis des Vergleichens sowie zur Zusammenstellung von Bilderpaaren soll das Teilprojekt vor allem die Produktivität einer praxistheoretisch orientierten Erforschung von Vergleichen vor Augen führen. Im Zentrum steht das Bemühen, mittels des praxistheoretischen Zugangs latente Implikationen des Vergleichens offenzulegen. Ein besonderes Interesse gilt dabei den Übergängen von einzelnen situativen Mikrodynamiken zur Mesoebene der verstetigten Routinen und Regeln, der stabilisierenden Dispositive und konventionalisierten Habitus.
Leitung: Prof. Dr. Johannes Grave und Dr. des. Britta Hochkirchen
Projektmitarbeiter/innen: Joris C. Heyder und Robert Eberhardt
Forschungsprojekt im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms "Ästhetische Eigenzeiten. Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne" (SPP 1688, 2. Phase)
Das Projekt greift die um 1900 verbreitete Rede von Bildrhythmen auf, um nach einer spezifisch bildlichen Zeitlichkeit zu fragen. Die traditionelle Differenzierung zwischen Raumkünsten und Zeitkünsten hat lange Zeit dazu geführt, dass die Temporalität von Bildern kaum beachtet oder aber auf Probleme der Bilderzählung reduziert wurde. Dass Bilder aufgrund ihrer materiellen, sinnlich erfahrbaren Eigenschaften und durch Darstellungen, die sie zur Erscheinung bringen, den zeitlichen Rezeptionsprozess ihrer Betrachtung maßgeblich prägen können, ist selten bemerkt und kaum näher untersucht worden. Zu den wenigen Ansätzen, mit denen sich ein klares Bewusstsein von der rezeptionsästhetischen Temporalität des Bildes abzeichnet, zählt die um 1900 verbreitete Idee, auch in Bildern Rhythmen ausmachen zu können. Insbesondere in der empirischen Ästhetik und der allgemeinen Kunstwissenschaft der Jahrhundertwende wurde Bildern auffällig oft das Potenzial zuerkannt, rhythmische Konstellationen aufzuweisen. Diese Diskussionen um den Rhythmusbegriff sind zuletzt wieder vermehrt auf Interesse gestoßen, aber noch nicht konsequent für ein besseres Verständnis der Zeitlichkeit des Bildes herangezogen worden.
Die Rede von Bildrhythmen hat jedoch – so die leitende These des Projekts – implizit zur Voraussetzung, dass sich Bilder durch eine eigene rezeptionsästhetische Temporalität auszeichnen: Die Suche nach Rhythmen ist nur sinnvoll, wenn Bilder durch ihre formalen Eigenschaften den zeitlichen Verlauf der Betrachtung beeinflussen und strukturieren können. Allein in konkreten Wahrnehmungsprozessen kann das rhythmische Potenzial von Bildern realisiert und freigesetzt werden. Ziel des Forschungsprojekts ist es, zu einem adäquaten Verständnis der Rede von Bildrhythmen beizutragen. Auf der Basis der wissensgeschichtlichen Rekonstruktion ausgewählter Ansätze und in Weiterführung jüngerer Positionen soll die Angemessenheit und Produktivität des Rhythmusbegriffs für die bildenden Künste dargelegt werden, um auf diese Weise eine besonders wirkmächtige Erscheinungsform der rezeptionsästhetischen Temporalität des Bildes zu fassen.
Zwei historische Fallstudien bieten die Grundlage für dieses Vorhaben: Die erste Studie rekonstruiert aus vorrangig wissensgeschichtlicher Perspektive die Ausprägung und Anwendung des Rhythmusbegriffs in Ästhetik, Psychologie und bildender Kunst um 1900. Ein besonderes Augenmerk wird dabei der Rezeption von ostasiatischen Bildkulturen gelten. Die zweite Studie ist dem exemplarischen Fall Max Klinger gewidmet und untersucht rhythmische Konstellationen sowie andere Formen komplexer Zeitgestaltung in Klingers Bildern und Bildfolgen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei Klingers Bezügen zur Musik und zur Rhythmus-Debatte an seinem Wirkungsort Leipzig. Eine systematisch angelegte Studie schließlich entwickelt den begrifflichen und analytischen Rahmen für eine Rezeptionsästhetik des Bildes unter besonderer Berücksichtigung der Frage von Bildzeit und Bildrhythmik.
Teilprojekt an der Universität Bielefeld
Prof. Dr. Johannes Grave (Leitung): Bildliche Rhythmen als exemplarische Artikulationsform der rezeptionsästhetischen Temporalität des Bildes
PD Dr. Boris Roman Gibhardt: Bildrhythmus und Zeitgestalt. Temporale Konzeptionen der Bildwahrnehmung in Kunst, Ästhetik und Psychologie um 1900
Teilprojekt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Prof. Dr. Reinhard Wegner (Leitung)
Max Pommer: Rhythmische Konstellationen in Max Klingers Bildern und graphischen Folgen
Praktiken und Präsentationsformen in Goethes Sammlungen
Verbundprojekt mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und der Klassik Stiftung Weimar.
Wie kommen Dinge zur Sprache? Auf welche Weise lassen sie sich ansprechen, werden aussagekräftig oder sprechen gar selbst? In der aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskussion dieser Fragen dominieren zwei Ansätze: Entweder werden Dinge als Bedeutungsträger und somit als Zeichen eines übergeordneten Sprachsystems aufgefasst oder aber ihnen wird der Status von sprachmächtigen Akteuren zugewiesen. Das Projekt problematisiert beide Ansätze und sucht nach einer dritten Position, deren Ausgangspunkt Goethes Konzeption eines »Gesprächs mit den Dingen« ist, das eine Subjekt-Objekt-Dichotomie in Frage stellt.
Das Projekt profitiert von dem kulturgeschichtlichen Glücksfall, dass sich in Goethes umfangreichen Kollektionen nicht nur die Objekte selbst, sondern ebenso Sammlungsmöbel, Sockel, Vitrinen, Objektbeschriftungen, Etiketten und anderes mehr erhalten konnten. Der exzeptionelle Bestand dieser vermeintlich trivialen Parerga und Paratexte geriet bisher jedoch kaum in das Blickfeld der Forschung. Gerade in der Zusammenschau der materiellen und textuellen Zurichtungen von Sammlungsobjekten mit der dichten Überlieferung archivalischer Quellen und autobiographischer Texte lassen sich konkrete Sammlungspraktiken rekonstruieren. In wechselseitiger Erhellung zu diesem praxeologischen Zugang steht die Analyse der in den naturwissenschaftlichen, kunsttheoretischen und literarischen Texten Goethes reflektierten Sprachfähigkeit der Objekte.
Das Projekt besteht aus vier Teilen an unterschiedlichen Standorten:
Das Teilprojekt »Parergonale Rahmungen. Zur Ästhetik wissenschaftlicher Dinge bei Goethe« (Standort Bielefeld) nimmt die Parerga, das heißt Rahmungen, Sockel, Träger, Etuis, Etiketten etc., von Objekten in Goethes wissenschaftlichen Sammlungen in den Blick. Ziel ist, die Rolle von Parerga bei der Konstitution von epistemischen Gegenständen genauer zu bestimmen und deren Relevanz für den praktischen Umgang mit Dingen zu analysieren. Zu diesem Zweck werden die Objekte, ihre vielfältigen parergonalen Rahmungen sowie die erhaltenen Zeugnisse zu Goethes alltäglicher Praxis untersucht. Projektbearbeiterin: Dr. Valérie Kobi
Im Teilprojekt »Paratextuelle Zurichtungen. Beschriftungen an und zu Dingen« (Standort Erlangen) stehen die nicht systematisch gesammelten »Varia« wie Gebrauchsgegenstände, Gaben und Gelegenheitsgeschenke gemeinsam mit den Texten, die sie als Para- oder Peritexte rahmen und konstituieren, im Mittelpunkt. Das Projekt möchte insbesondere zur Konturierung des Interaktionsverhältnisses von Ding und Schrift sowie seiner materialen Bedingungen und Bedingtheiten beitragen.
Im Zentrum des Teilprojekts »Epistemische Möbel« (Standort Halle) stehen die Sammlungsmöbel, die nicht als neutrale Behältnisse von wissenschaftlichen Objekten, sondern als konsequent durch erkenntnispraktische Anliegen geformte „epistemische Möbel“ analysiert werden sollen. Dabei sind diese Möbel nicht nur durch vorgängige Erkenntnisinteressen disponiert, sondern sie formen ihrerseits die wissenschaftlichen Praktiken nachhaltig. Neben der Analyse des Bestands von etwa 50 Einzelstücken, ihrer Formentwicklung und Gebrauchsgeschichte gilt es auch Ensembles von Wahrnehmungs- und Studiensituationen zu rekonstruieren.
Das Teilprojekt »Präsentations- und Ordnungsformen in Goethes geowissenschaftlicher Sammlung« (Standort Weimar) beschäftigt sich mit Goethes mehr als 18.000 Stück zählender Mineral-, Gesteins- und Fossiliensammlung. Ihre goethezeitlichen Bezüge in Etikettierung, Katalogisierung und Möblierung sind weitgehend erhalten geblieben, was sie zu einem einzigartigen Untersuchungsgegenstand für epistemische und sammlungspraktische Fragen macht.
Die Verschränkung der vier Fallstudien mit weiteren Arbeitsformaten wird den interdisziplinären Zugang, die internationale Sichtbarkeit sowie die Vermittlung an ein breites Publikum gewährleisten. Ein regelmäßig tagender Arbeitskreis befasst sich mit der Diskussion der Zwischenergebnisse und der Fortentwicklung konzeptioneller Fragestellungen. Dabei sollen kultur- und naturwissenschaftliche Ansätze verfolgt sowie theoriegeleitete mit der bestandsbezogener und restauratorischer Arbeit am Objekt verbunden werden. Zudem werden in kleinen experimentell angelegten Kurzfilmen ausgewählte Objekte und Praktiken vorgestellt. Zwei internationale Tagungen mit Partnern der Wissensforschung in Leiden und Luzern reflektieren und kontextualisieren die Ergebnisse des Projektes.
Forschungsprojekt im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms "Ästhetische Eigenzeiten. Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne" (SPP 1688)
Bilder sind auf besondere Weise in Zeitlichkeit verstrickt; in ihnen verschränken sich unvermeidlich verschiedenste Zeitebenen (die Zeit des Dargestellten, die Alterung des Bildträgers, Prozesse der Wahrnehmung, Erinnerungen und Erwartungen des Betrachters etc.). Die Wahrnehmung von Bildern lässt sich daher nicht als simultane Schau einer gegebenen visuellen Ganzheit verstehen, sondern vollzieht sich in einer eigenen Zeit, in der das Sehen vorgezeichneten Spuren folgt oder neue Wege durch das im Bild anschaulich Gegebene bahnt. Jeder Akt des Bild-Betrachtens impliziert Prozesse, in denen verschiedene Elemente des Bildes zueinander ins Verhältnis gesetzt werden.
Für die Spezifik der Zeiterfahrungen vor Bildern sind deren rezeptionsästhetische Qualitäten von zentraler Bedeutung. Durch seine Gestaltung ermöglicht das Bild bestimmte Wahrnehmungsprozesse oder schränkt sie ein. Inwiefern und mit welchen Mitteln Bilder die komplexe Zeitlichkeit ihrer Rezeption beeinflussen, ist jedoch noch weitgehend ungeklärt. Ältere Ansätze, in Bildern vergleichsweise präzise Vorgaben für die Abfolge der Betrachtung zu vermuten, haben sich nicht durchsetzen können. Das Projekt wird daher nicht vorrangig nach linearen Verlaufsmustern, sondern nach bildinternen Widerstreiten fragen, die eine zeitliche Erstreckung der Rezeption zur Folge haben.
Im kritischen Rückblick auf die bisherige Forschung zum Verhältnis von Bild und Zeit sowie auf empirische und kognitionswissenschaftliche Ansätze soll das Projekt die kunsthistorische Rezeptionsästhetik weiterentwickeln und um deren bisher vernachlässigte temporalen Aspekte bereichern. Dazu sind systematische und historische Perspektiven miteinander zu verknüpfen. Zwei historische Fallstudien sollen erschließen, wie die rezeptionsästhetische Zeitlichkeit im 19. Jh. reflektiert und in das ästhetische Kalkül einbezogen wurde. Die erste Studie soll für den Beginn des 19. Jhs. ein Ideal der lebendigen Darstellung zu rekonstruieren versuchen, dessen primäres Interesse der Frage gilt, wie den Darstellungsmitteln Lebendigkeit und Beweglichkeit zukommen kann. Im Zentrum dieser Studie stehen romantische Bildallegorien sowie die Integration von Schrift in Bilder. Die zweite Studie ist dem Werk Adolph Menzels gewidmet, in dem die Darstellung von Zeit und die Zeitlichkeit der Darstellung besonders markant zusammentreten. Im Rückgriff auf die Beobachtungen und Ergebnisse dieser historischen Fallstudien wird eine systematisch angelegte Untersuchung schließlich den begrifflichen und analytischen Rahmen für eine Rezeptionsästhetik des Bildes entwickeln, die die Zeitlichkeit des Akts der Bildbetrachtung in ihr Zentrum stellt. Dabei ist nicht zuletzt eine neue Antwort auf die Frage zu erwarten, warum Bildern auch jenseits einer Rhetorik der Evidenz oder täuschenden Realitätseffekten eine besondere Wirkmacht zukommen kann.
Teilprojekt Bielefeld (Prof. Dr. Johannes Grave und PD Dr. Boris Roman Gibhardt)
Der Akt des Betrachtens. Zur rezeptionsästhetischen Temporalität von Bildern (systematische Studie)
Lebendige Darstellung. Dynamische Konzepte bildlicher Darstellung um 1800 (historische Fallstudie)
Teilprojekt Jena (Prof. Dr. Reinhard Wegner und Frieda-Marie Grigull M.A.)
Der bewegte Blick. Dynamisierungsprozesse als Darstellungs- und Wahrnehmungsstrategien in den Werken Adolph Menzels (historische Fallstudie)
Weitere Informationen unter "Ästhetische Eigenzeiten. Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne".