Die Bielefelder Debatten zur Zeitgeschichte knüpfen an die lebendige Diskussionskultur der Bielefelder Geschichtswissenschaft an und finden jährlich statt. Sie greifen zentrale Themen und Kontroversen in der Zeitgeschichte auf und schaffen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit Raum für offene und vielstimmige Auseinandersetzungen mit kontroversen Positionen und aktuellen Forschungsansätzen.
Demokratie braucht Öffentlichkeit, aber nicht jede Öffentlichkeit fördert die Demokratie. Dass der Strukturwandel – oder vielmehr Strukturbruch – der Öffentlichkeit(en) seit dem Beginn des digitalen Zeitalters eine ernstzunehmende Herausforderung für die „klassische“ liberale Demokratie darstellt, ist inzwischen eine der meist diskutierten Zeitdiagnosen – quer durch die Geistes- und Sozialwissenschaften. Aus der Perspektive der zeithistorischen Forschung kommt hinzu, dass die Art und Weise, in der wissenschaftliche Erkenntnisse mittels neuer, eigensinniger Medien, Foren und Technologien kommuniziert, rezipiert und debattiert werden, diesen einerseits eine enorm vergrößerte potentielle Reichweite verschafft. Andererseits bergen die Schnelligkeit und Unmittelbarkeit, mit der Wissenschaft und Öffentlichkeit im Austausch stehen, und die Dringlichkeit, mit der tagespolitische Ereignisse nach wissenschaftlich fundierten Analysen und Antworten verlangen – und von Expertinnen und Experten angeboten werden –, vielerlei Fallstricke.
Die 4. Bielefelder Debatte zur Zeitgeschichte widmet sich der gegenwärtigen Erosion und möglichen Neuformierung des „strukturell gekoppelten“ (T. Mergel) Verhältnisses zwischen Medien und Politik, und im weiteren Sinne dem historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Zusammenhang von (digitaler) Öffentlichkeit und Demokratie. Sie wird aus historischer, rechtswissenschaftlicher, soziologischer und demokratietheoretischer Perspektive die dabei wirksamen Verflechtungsmechanismen problematisieren sowie den Wissensstand zur Stabilisierung und Destabilisierung von demokratischen Ordnungen sowie die Rolle von Öffentlichkeit(en) in diesen Prozessen erörtern. Schließlich soll gründlicher als gemeinhin üblich nach der Relevanz (d.h. Indienstnahme und Indienststellung) wissenschaftlicher Expertise im Umgang mit diesen Fragen an der Schnittstelle von Politik, Medien und Öffentlichkeit gefragt werden.
Pressestimmen
„Krise ist doch normal“ (taz, 24.05.2024)
Programm
14:00 Uhr Einführung (Christina Morina)
Teil 1: 14:15 – 16 Uhr
Res publica im Wandel der Zeit. Zum Zusammenhang von Demokratie und Öffentlichkeit in historischer Perspektive
Ute Daniel (Braunschweig) & Till van Rahden (Montreal)
Moderation: Claudia Gatzka (Freiburg)
16 – 16:45 Uhr Kaffeepause
Teil 2: 16:45 – 18:30 Uhr
Demokratie braucht Öffentlichkeit. Zur Gegenwart und Zukunft eines fragilen Verhältnisses
Steffen Mau (Berlin) & Thomas Wischmeyer (Bielefeld)
Moderation: Christina Morina
18:30 – 19 Uhr Empfang
Anmeldungen bei nadine.engler@uni-bielefeld.de
Im Januar 2023 jährt sich der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland zum 90. Mal, die Befreiung von Auschwitz zum 78. Mal. Beide Jahrestage verweisen nicht zuletzt darauf, dass Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust nach und nach nicht mehr zu den Themen einer Zeitgeschichtsschreibung im engeren Sinne gehören werden – ein Umstand, der die gegenwärtig zu konstatierenden geschichtskulturellen und gedenkpolitischen Verschiebungen sowohl spiegelt als auch verschärft. So fällt das Verschwinden der letzten Zeitzeugen*innen mit kontrovers geführten Diskussionen um die Zukunft des nationalen und globalen Gedenkens zusammen. Das derzeit häufig vorgebrachte Argument, die „Erinnerungskultur“ müsse zeitgemäß(er) ausgerichtet sein, erklärt dabei weniger als oftmals suggeriert wird, denn wie und warum sich die Prämissen und Perspektiven öffentlichen Erinnerns verändern sollen, und welche Folgen das hätte, wird kaum je eingehender diskutiert. Vielmehr tendiert die Gegenwartsfokussierung dieser Forderung stark dazu, historische Ereignisse aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herauszulösen und deren Erforschung nicht als Möglichkeit gesellschaftlicher Verunsicherung und Selbstverständigung zu begreifen, sondern als Gelegenheit, sie den jeweils aktuellen politischen und gesellschaftlichen Bedürfnissen anzupassen und unterzuordnen.
Die III. Bielefelder Debatte zur Zeitgeschichte widmet sich diesem ebenso selbstverständlichen wie problematischen Spannungsverhältnis. Ausgangspunkt ist die These, dass sich über Gegenwart und Zukunft des NS-Gedenkens ohne eine kritische Rekonstruktion und Reflektion seiner historischen Genese nicht sinnvoll sprechen lässt. Die beiden Gespräche legen entsprechend zwei Schwerpunkte, die diesen Doppelcharakter von Erinnerungskultur spiegeln: Sie ist einerseits auf die Geschichte und deren wissenschaftliche Erforschung bezogen, reflektiert und prägt aber andererseits aktuelle, oft hoch politische und konfliktreiche Problemlagen der gesellschaftlichen Gegenwart.
Falk Pingel (Bielefeld) hat einen Tagungsbericht zu den Bielefelder Debatten zur Zeitgeschichte III. „Die Zukunft des NS-Gedenkens. Geschichte als gesellschaftliche Selbstverständigung“, 27.1.2023 verfasst, der am 31.03.2023 auf H-Soz-Kult erschienen ist.
Zum Tagungsbericht (Link)
Programm:
13:30 Uhr Begrüßung & Einleitung (Christina Morina)
Teil 1, 14-16 Uhr
Zeithistorische Perspektiven auf den Umgang der Deutschen mit dem Nationalsozialismus seit 1945
Ulrike Jureit (Hamburg) & Bill Niven (Nottingham)
Moderation: Christina Morina
16-17 Uhr Kaffeepause
Teil 2: 17-19 Uhr
Gegenwart und Zukunft des öffentlichen Erinnerns an den Nationalsozialismus
Natan Sznaider (Tel-Aviv) & Ahmad Mansour (Berlin)
Moderation: Anna Strommenger
19 Uhr Empfang
Kontakt: christina.morina@uni-bielefeld.de
Download Programm (pdf)
Anmeldungen bis zum 20. Januar an Nadine Engler
Videomitschnitte sind über die unten aufgeführten Links verfügbar.
(sciebo video player)
Die 2. Bielefelder Debatte zu „Antisemitismus und Rassismus. Konjunkturen und Kontroversen seit 1945“ wird Mitte 2024 als Band 2 der Reihe Vergangene Gegenwart. Debatten zur Zeitgeschichte erscheinen. Hier die Vorschau
Die zeithistorische Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus hat eine auch in Deutschland bis in die Nachkriegszeit zurückreichende, anfangs randständige, dann zunehmend gewichtigere Tradition, die stets eng verwoben war mit den Konjunkturen von Diskriminierung, Gewalt und den darauffolgenden gesellschaftlichen Antworten. Insgesamt wird jedoch insbesondere der Rassismus als ein von der historischen Forschung zu lange vernachlässigtes Problem angesehen, und die Gründe dafür liegen wohl nur teilweise in der jahrzehntelangen Fokussierung auf den Nationalsozialismus bis 1945. Die II. Bielefelder Debatte zur Zeitgeschichte widmete sich diesem Thema in zwei Fokussierungen, um in die derzeitige Vielstimmigkeit und in gewisser Weise auch Unübersichtlichkeit einige analytische Schneisen zu schlagen.
Im Gespräch zwischen Stefanie Schüler-Springorum (Berlin) und Ulrich Herbert (Freiburg), moderiert von Christina Morina, ging es um die Historisierung der eben genannten Tradition zeithistorischer Auseinandersetzung und die Verflechtungen bzw. Divergenzen zwischen Antisemitismus und Rassismusforschung; zentral waren neben einer Bilanz auch Perspektivierungen mit Blick auf zukünftige Forschungsfelder.
Das zweite, von Amir Theilhaber moderierte, Gespräch zwischen Teresa Koloma Beck (Hamburg) und Max Czollek (Berlin) versuchte, den derzeitigen wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskurs um Antisemitismus und Rassismus beobachtend zu erfassen. Es ist als im besten Sinne „riskante Begegnung“ (Teresa Koloma Beck) gedacht, die subjektive mit gesellschaftlichen und politischen Gemengelagen zusammendenkt – wofür beide Gäste nicht nur mit ihrer Biografie stehen, sondern vor allem aufgrund ihrer interdisziplinären Expertisen.
Sebastian Bischoff (Paderborn) hat einen Tagungsbericht zu den Bielefelder Debatten zur Zeitgeschichte II. "Antisemitismus und Rassismus: Konjunkturen und Kontroversen seit 1945", 11.02.2022 verfasst, der am 22.06.2022 auf H-Soz-Kult erschienen ist.
"Tücken globaler Erinnerung", (taz, 13.02.2022)
Im November 2021 erschien eine überarbeitete und erweiterte Fassung der ersten Bielefelder Debatten zur Zeitgeschichte: "Deutschland und Europa seit 1990" im Vandenhoeck & Ruprecht-Verlag (Göttingen).
Der Band bildet den Auftakt zur Reihe "Vergangene Gegenwart", die zentrale Themen und Kontroversen der Zeitgeschichte aufgreift, vielstimmig diskutiert und um neue Perspektiven erweitert.
Synopse: Die Einheit brachte Vielfalt – Freiheit, aber auch Unsicherheit. 30 Jahre nach dem Mauerfall und der Vereinigung Deutschlands ist es an der Zeit, die vielfältigen Umbrüche und Entwicklungen neu zu vermessen. Sie prägen – und belasten – die politische und gesellschaftliche Gegenwart und stellen gerade auch die zeithistorische Forschung vor enorme Herausforderungen. Wie hat sich Deutschland seit 1990 verändert? Welche Bilanz lässt sich hinsichtlich der politischen, sozialen und kulturellen Folgen der Vereinigung ziehen? Und wie sind diese mit der Entwicklung in Europa und der Welt verbunden? Darüber debattieren Marianne Birthler, Norbert Frei, Philipp Ther und Ton Nijhuis, eingeleitet und kommentiert von Christina Morina und Konrad H. Jarausch.
zur Buchrezension von Axel-Wolfgang Kahl (Paderborn) in H-Soz-Kult (Link)
Marcus Böick (Bochum) hat einen Tagungsbericht zu den Bielefelder Debatten zur Zeitgeschichte I. "Vergangene Gegenwart: Deutschland und Europa seit 1990", 20.11.2020 verfasst, der am 9.02.2021 auf H-Soz-Kult erschienen ist.
Die Deutsche Einheit und die Transformation (Ost-) Deutschlands seit 1990 spielen in aktuellen historischen und politischen Diskursen eine wichtige Rolle. Bielefeld und der Raum Ostwestfalen-Lippe sind geografisch, politisch, wirtschaftlich und kulturell mindestens mittelbar mit der Geschichte und Nachgeschichte der Teilung verbunden, und die Transformation Ostdeutschlands wurde und wird häufig eher aus der Ferne verfolgt. Der 30. Jahrestag der Vereinigung Deutschlands und die Übernahme der Professor für Zeitgeschichte durch Christina Morina zum Wintersemester 2019/20 sind für den Arbeitsbereich Zeitgeschichte Anlass genug, das Thema sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus gesellschaftlicher Perspektive aufzugreifen. Am 20. November 2020 werden mit renommierten Gästen und (Nachwuchs-) Wissenschaftler*innen und viel Raum für Gespräche einige zentrale Aspekte der "Vergangenen Gegenwart in Deutschland und Europa seit 1990" thematisiert und debattiert.