Arbeitsbereich 2: Methoden der empirischen Sozialforschung
In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Heisenberg-Programms geförderten Forschungsvorhaben geht es um die Exploration der Bedingungen individualisierter Lebensverläufe, wie sie in unterschiedlichen sozialen Herkünften konstituiert werden. Dabei wird sich allerdings nicht auf Personen ausschließlich familialer Herkünfte beschränkt. Vielmehr werden schwerpunktmäßig biografische Strukturen betrachtet, die weitestgehend ohne Eltern mithilfe wohlfahrtstaatlicher Leistungen aufgebaut werden (1). Als anderes "Extrem" kommen Lebensläufe in den Blick, die nahezu ausschließlich familial organisiert werden (2). Insgesamt sollen das Verhältnis und die Mechanismen wohlfahrtsstaatlich und familial konstituierter Handlungsautonomie erschlossen werden, wozu auch ihre theoretische Aufarbeitung gehören wird (3). Gearbeitet wird explorativ mit den Instrumenten der narrativen Interviewmethode, der objektiv-hermeneutischen Fallrekonstruktion sowie – gerade auch für die Verknüpfung von Theorie und Empirie – mit der Idealtypenbildung.
Die Forschung zu sozialer Mobilität konzentriert sich zurzeit in großen Teilen auf die familiale Reproduktion von Lebensläufen und die (Prägung durch die) elterliche Herkunft. Demgegenüber fragt dieses Forschungsvorhaben schwerpunktmäßig danach, wie Lebensläufe individualisiert und biografische Orientierungen unabhängig von (der Klassenzugehörigkeit der) Eltern konstituiert werden. Die Suchbewegung in diesem Forschungsvorhaben ist also die nach der autonomen Handlungsorientierung als biografische Leistung und ihren Ermöglichungsbedingungen – wobei es insbesondere um die wohlfahrtsstaatlichen Voraussetzungen geht. Denn eine maßgebliche Größe für die Individualisierung des Lebenslaufs und die in modernen Gesellschaften vom Einzelnen zu organisierende soziale Platzierung ist der Wohlfahrtsstaat: Seine Leistungen bringen die individuelle Planung und eigenständige Organisation verschiedener Phasen, Systeme und Rollen und damit eine spezifische Kultur biographischen Handelns überhaupt erst mit hervor. Dies gilt für alle Lebensläufe. Es gibt aber auch Konstellationen, in denen die wohlfahrtstaatliche Regulierung "überbetont" und ihre familiale Organisation zurückgefahren ist. Im Extremfall betrifft dies etwa Waisen und Kinder, für die auch noch aus anderen Gründen der Sozialstaat die Erziehung ersatzweise übernommen hat. Umgekehrt gibt es auch Lebensläufe, deren familiale Organisation "überspannt" ist und die kaum mithilfe familienfremder Milieus organisiert werden. Dies gilt etwa für (Nachfolgen in) Familienbetriebe(n), wobei insbesondere Schaustellbetriebe und Jahrmärkte ein fast ausschließlich durch Familien reguliertes Markt- und Lebenslaufregime bilden.
Das empirische Feld sozialer Herkünfte und sozialer Mobilität wird sich also als ein Kontinuum – mehr oder weniger – individualisierter Handlungsausrichtungen darstellen, mit den Extremen elternloser und wohlfahrtsstaatlich pointierter Orientierungen auf der einen und familial überbetonten biografischen Strukturen auf der anderen Seite. Doch obwohl diese "Extreme" eine hohe Aussagekraft für die in der Sozialforschung zurzeit weitestgehend unhinterfragte Behauptung haben, dass es vor allem (akademisch gebildete und mindestens Mittelschichts-) Familien seien, die aufstiegsförderliches Wissen und erfolgversprechende biografische Kompetenzen vermitteln, wurden biografische Strukturen, wie sie sich einerseits ganz ohne Familie oder andererseits weitestgehend ohne Sozialstaat und öffentliche Märkte herausbilden, noch gar nicht soziologisch exploriert. Auch die Übergänge, d.h. das feinere Mehr oder Weniger an familialer oder selbständiger Orientierung, sind bislang noch nicht sehr umfänglich untersucht worden.
So setzt sich das Vorhaben zentral aus den o.g. Fallstudien zusammen, diese sind aber offen für weitere minimale und maximale Vergleichsfälle. Insgesamt ist das Ziel des Vorhabens, die bisher noch gänzlich unerforschten Phänomene der elternlosen und familial überorganisierten Biografien zu erkunden und damit auch das theoretische Gebiet der (herkunftsspezifischen) Sozialisation und des Verhältnisses von Individualisierung und Sozialstaatlichkeit deutlich zu erweitern.
Das Forschungsvorhaben wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Heisenberg-Programms gefördert.