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Während Deutschland sich auf die vorgezogene Bundestagswahl vorbereitete, rückte die ökologische Krise in den aktuellen Debatten, verglichen mit Themen wie Migration oder Sicherheit, in den Hintergrund. Das bedeutet nicht, dass Parteien über das gesamte politische Spektrum hinweg ökologische Fragen, wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Umweltverschmutzung und andere ökologische Probleme, grundsätzlich ignorieren. Doch während sich die Parteien auf grüne Investitionen, Energiewende und nachhaltige Infrastruktur konzentrieren, wird weitaus weniger diskutiert, welche sozialen Folgen diese Veränderungen haben werden. Insofern wird ökosozialer Politik, und darin besonders dem Themenkomplex sozialer Sicherheit, eine geringere Aufmerksamkeit zuteil. Es wird kaum diskutiert, wie die nachhaltige Transformation die sozialen Sicherungssysteme beeinflussen wird und welche Rolle soziale Sicherung wiederum spielen kann, um eine solche nachhaltige Transformation zu unterstützen. Die ökosoziale Dimension von Arbeitsplatzsicherheit, Sozialversicherung und Sozialhilfe bleibt im Hintergrund der Debatte, was Fragen hinsichtlich der Inklusivität dieser Politiken angesichts eskalierender ökologischer Krisen aufwirft.
Für diesen Blogbeitrag haben wir die Wahlprogramme (und Programmentwürfe) der demokratischen Parteien untersucht, die die größte Chance hatten, die 5-Prozent-Hürde zu überwinden: CDU/CSU, SPD, Die Grünen, FDP, Die Linke und das BSW – obwohl BSW und FDP es im Nachhinein nicht in das Parlament schafften. Die AfD, die die Realität des menschengemachten Klimawandels leugnet und keine ökosozialen Politikvorschläge bietet, wird in unserer Analyse nicht berücksichtigt. Aufgrund des Befunds, dass „ökosoziale Sicherheit“ weitgehend in der politischen Debatte fehlte, liegt unser Fokus dabei darauf, wie Fragen der ökosozialen Sicherheit in stärkerem Maße Teil politischer Agenden werden könnten.
Ein erster Ansatz, um ökosoziale Sicherheit zu einem politischen Anliegen zu machen, könnte darin bestehen, bestehende Diskussionen zur ökosozialen Politik, und verwandte Debatten, zu erweitern.
Über das gesamte politische Spektrum hinweg betonen die Parteien die Rolle von ökonomischen Faktoren in Bezug auf die Klimaanpassung. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den Ansätzen. CDU/CSU und FDP priorisieren die Wirtschaft und setzen auf marktbasierte Instrumente. CDU/CSU schlagen beispielsweise eine Ausweitung erneuerbarer Energien vor, während sie Wettbewerb und Technologieoffenheit als wichtige Prinzipien betonen, und setzen auf den Emissionshandel, sowie Investitionen der Wirtschaft. Sie schlagen zudem die Vergütung von Umweltleistungen, insbesondere in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Jagd, vor. Die FDP plädiert für eine Klimadividende als universelle Pauschalleistung. Fragen der sozialen Gerechtigkeit sind in diesen Themenfeldern nicht unsichtbar, doch dominiert eine Trickle-Down-Logik: Eine gut funktionierende Wirtschaft wird als bester Garant für steigende Lebensstandards angesehen.
Die SPD und die Grünen betonen ebenfalls die Bedeutung wirtschaftlichen Wachstums im Hinblick auf Klimaanpassungen. Die SPD legt den Fokus auf Chancengleichheit; so sollen auch einkommensschwachen Haushalten der Zugang zu klimafreundlichen Technologien ermöglicht werden, etwa durch staatliche Unterstützung, sowie der ÖPNV bezahlbar gemacht werden. Das Wahlprogramm der Grünen identifiziert Klimaschutz eindeutig als Kernthema. Sie betonen die Notwendigkeit einer engen Verzahnung von Klimaschutzabkommen mit sozialen Standards. Die Grünen schlagen unter anderem ein Klimageld als eine gerechte Umverteilungsmaßnahme für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen vor.
Die Linke hebt den sozial gerechten Charakter von Klimaanpassungsmaßnahmen besonders hervor, da Menschen mit niedrigerem sozioökonomischem Status am stärksten von der Klimakrise betroffen sind. Sie fordern verschiedene Maßnahmen mit Umverteilungseffekten, darunter mehr finanzielle Verantwortung der Wohlhabenden, niedrigere Energiepreise, die Einführung eines Klimageldes, einen erschwinglichen ÖPNV, und eine nachhaltige Lebensmittel- und Agrarpolitik.
Ein zweiter Ansatz zur Stärkung der ökosozialen Sicherheit in politischen Debatten ist die Betonung der Rolle sozialer Sicherungssysteme, um Gesellschaften zukunftsfest zu machen.
In einigen Wahlprogrammen spielt der demografische Wandel eine zentrale Rolle bei der Problematisierung sozialer Sicherungsfragen. Die FDP, etwa, fordert eine stärkere Berücksichtigung kapitalgedeckter Elemente in Rente und Pflege, um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen. Obwohl diese Forderungen hauptsächlich demografisch begründet werden, könnte eine ähnliche Argumentationsweise auch auf ökosoziale Sicherung angewendet werden.
Ein wiederkehrender Vorschlag in allen betrachteten Parteien ist die Stärkung des Katastrophenschutzes angesichts ökologischer Herausforderungen, aber auch in Bezug auf Terrorismus, Konflikte oder Epidemien. Soziale Sicherungssysteme werden in diesem Zusammenhang jedoch selten explizit diskutiert, außer von Seiten der SPD, die die Rolle sozialer Sicherung in Krisen besonders betont.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in den meisten Wahlprogrammen ist die Modernisierung und Investition in die Zukunft als Reaktion auf ökologische Herausforderungen. Die SPD, beispielsweise, betont Bildung, Innovation, Digitalisierung und Klimaschutz, und will bürokratische Hürden für Investitionen abbauen. Die Grünen nennen zahlreiche Themen der Klimamodernisierung und der Unterstützung der Industrie auf dem Weg zur nachhaltigen Transformation. Explizite Krisenreaktionen sind ebenfalls Bestandteil einiger Wahlprogramme. Als Beispiel könnte hier etwa der Hinweis der SPD genannt werden, dass der Staat, als temporäre Lösung um Jobs zu sichern, Anteile gefährdeter Unternehmen kaufen könnte, sowie ihr Vorschlag zur Einführung einer EU-weiten Arbeitslosenrückversicherung. Mit zukunftsgerichteten Vorschlägen dieser Art könnten auch Maßnahmen der ökosozialen Sicherheit legitimiert werden.
Unsere Untersuchung der Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2025 zeigt, dass eine eigenständige ökosoziale Sicherung als Klimaanpassungsmaßnahme keine wichtige Rolle in den Parteiprogrammen spielt.
Es gibt jedoch einige Ausnahmen. Am ehesten mit ökosozialer Sicherung verwandt sind die diversen Vorschläge für eine nachhaltige und gerechte Transformation („just transition“), etwa Umschulungs- und Kompensationsmaßnahmen für all jene, die ihren Job durch den Klimawandel verloren haben. Die SPD, beispielsweise, möchte dahingehend Umschulungszeiten nicht mehr als Zeiten der Arbeitslosigkeit werten. Die Linke schlägt eine Job- und Einkommensgarantie, sowie einen Qualifikationsfonds, vor, welcher den Lebensstandard der Umzuschulenden sichern und dabei teilweise auch von der Privatwirtschaft finanziert werden soll. Darüber hinaus wird von mehreren Parteien ein Klimageld oder eine Klimadividende ins Spiel gebracht. CDU/CSU nennen eine verpflichtende Versicherung gegen Elementarschäden, die allerdings kein klar definiertes soziales Ziel verfolgt. Ein weiteres Beispiel ist der Bürger*innenfonds der Grünen, der darauf abzielt, das Rentensystem durch ein kapitalgedecktes Element zu stärken, und in seinen Investitionen Nachhaltigkeitskriterien beachtet.
Wir haben zwei Trends identifiziert, an die Argumente für eine stärkere Rolle ökosozialer Sicherung anknüpfen könnten: Zum einen erkennen alle Parteien des demokratischen Spektrums die soziale Dimension der Klimaanpassungspolitik an; zum anderen rücken sie Krisenprävention und Katastrophenmanagement – neben anderen zukunftsrelevanten Herausforderungen – als zentrale Faktoren einer resilienten Gesellschaft in den Mittelpunkt. Was aber bislang fehlt, ist die Einbindung sozialer Sicherung in beide dieser Debatten. Soziale Sicherungssysteme sind von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen und könnten unter Reformdruck geraten, um ihre Resilienz sicherzustellen. Gleichzeitig bieten sie die Möglichkeit, Klimaanpassungsmaßnahmen selbst zu stärken, indem sie Haushalten die notwendige Sicherheit geben, um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.
Wir haben zwei potenzielle Einfallstore für die Verankerung ökosozialer Sicherung in politischen Agenden identifiziert. Doch während die Koalitionsverhandlungen voranschreiten, bleibt abzuwarten, ob die angekündigten Maßnahmen der Parteien tatsächlich umgesetzt werden – und, in einem zweiten Schritt, ob sich der aufkommende ökosoziale Trend zu einem umfassenden Konzept entwickelt, das auch soziale Sicherung mit einbezieht.
BSW (2025) Unser Land verdient mehr! Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025.
Bündnis 90 / Die Grünen (2025) Zusammen Wachsen. Regierungsprogramm 2025. Entwurf des Bundesvorstands.
CDU/CSU (2025) Politikwechsel für Deutschland. Wahlprogramm von CDU und CSU.
Die Linke (2025) Alle wollen regieren. Wir wollen verändern. Reichtum teilen. Preise senken. Füreinander. Antrag L.1: Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025.
FDP (2025) Alles lässt sich ändern. Das Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2025.
SPD (2025) Mehr für dich. Besser für Deutschland. Regierungsprogramm der SPD für die Bundestagswahl 2025.