skip to main contentskip to main menuskip to footer Universität Bielefeld Play Search

Abteilung Psychologie

© Universität Bielefeld

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Trauma

In der Forschung werden zur Einordnung psychischer Störungen verschiedene Klassifikationssysteme verwendet. Darin werden die Symptome, Auftretenswahrscheinlichkeiten und Verläufe der einzelnen Störungsbilder beschrieben. Das am häufigsten verwendete System ist das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen in der fünften Version (DSM-5, Falkai & Wittchen, 2015). Eine dieser Kategorien sind die Trauma- und belastungsbezogenen Störungen. Sie sind durch traumatische oder stressreiche Ereignisse gekennzeichnet, die zu psychologischen Stresssymptomen führen, z.B. Angst, Ärger oder Dissoziationen (Trennung von Wahrnehmung und Wirklichkeit). Zu den Trauma- und belastungsbezogenen Störungen zählen die folgenden fünf Unterkategorien:

  • Reaktive Bindungsstörung
  • Beziehungsstörung mit Enthemmung
  • Posttraumatische Belastungsstörung
  • Akute Belastungsstörung
  • Anpassungsstörungen

Was ist eine PTBS?

Die PTBS ist eine Untergruppe der Trauma- und belastungsbezogenen Störungen. Als solche liegt der Störung ein traumatisches Ereignis zugrunde. Als traumatisches Ereignis wird die Konfrontation mit dem tatsächlichen oder drohenden Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt bezeichnet. Neben den kurzfristigen Typ-1-Traumata existieren langandauernde, sich wiederholende Typ-2-Traumata (Rosner, 2008). Zusätzlich erfolgt die Unterteilung in akzidentelle und interpersonelle Traumaursachen. Eine kurze Übersicht mit Beispielen ist in Tabelle 1 enthalten.

Tabelle 1. Beispiele für die verschiedenen Arten von Traumata (angelehnt an Maercker, 2013).

 

Typ-1 (kurzfristig)

Typ-2 (langfristig)

akzidentell
  • schwerer Verkehrsunfall
  • kurzdauernde Katastrophen (z.B. Wirbelsturm, Brand)
  • technische Katastrophen (z.B. Giftgasunfall)
  • langandauernde Naturkatastrophen (Erdbeben, Überschwemmung)
interpersonell
  • sexuelle Übergriffe (z.B. Vergewaltigung)
  • kriminelle bzw. körperliche Gewalt
  • ziviles Gewalterleben (z.B. Banküberfall)
  • langandauernde sexuelle Gewalt
  • Kriegserleben
  • Geiselhaft
  • Folter, politische Inhaftierung (z.B. KZ-Haft)

Wie wird eine PTBS diagnostiziert?

Für die Diagnose einer PTBS müssen acht Kriterien erfüllt sein (Falkai & Wittchen, 2015). Bei der Diagnostik einer PTBS im Kindesalter ist zu beachten, dass sich die Symptome auch im Spielverhalten äußern können.

  1. Die betroffene Person muss einem traumatischen Ereignis ausgesetzt gewesen sein. Dabei ist es nicht notwendig, dass die betroffene Person direkt dem Ereignis ausgesetzt war. Auch wenn die Ereignisse (a) persönlich miterlebt werden (z.B. neben einer Explosion stehen, bei der Menschen getötet werden), (b) einem Familienmitglied bzw. engen Freund zugestoßen sind (z.B. Anruf, bei dem der Unfalltod der Eltern mitgeteilt wird) (c) oder eine wiederholte oder extreme Konfrontation mit Details von traumatischen Ereignissen darstellen (z.B. Ersthelfer*innen, die menschliche Leichenteile aufsammeln) kann in Folge eine PTBS auftreten. Dies gilt nicht für eine Konfrontation durch elektronische Medien (Fernsehen, Spielfilme, Bilder usw.), es sei denn, diese Konfrontation ist berufsbedingt.
  2. Es müssen Symptome des Wiedererlebens auftreten, die sich auf das traumatische Ereignis beziehen. Dabei kann es sich um belastende Erinnerungen (Intrusionen), Träume, dissoziative Reaktionen (z.B. Flashbacks) sowie psychische und körperliche Belastung bei Konfrontation mit Hinweisreizen handeln.
  3. Die betroffene Person zeigt Vermeidungsverhalten gegenüber belastenden Gedanken und Erinnerungen oder gegenüber belastenden Umweltreizen (z.B. Personen, Orte, Aktivitäten).
  4. Es kommt zu negativen Veränderungen von Gedanken oder Stimmung, die nach dem Ereignis einsetzten oder schlimmer wurden. Dazu zählen beispielsweise dissoziative Amnesien (= Unfähigkeit, sich an einen Aspekt des traumatischen Erlebnisses zu erinnern), übertriebene negative Überzeugungen und Erwartungen ("Die ganze Welt ist gefährlich.") und verzerrte Kognitionen bezüglich Ursache und Folgen des traumatischen Ereignisses mit Schuldzuweisungen.
  5. Das Erregungsniveau ändert sich deutlich, z.B. in Form von Wutausbrüchen ohne Anlass, übermäßiger Wachsamkeit (Hypervigilanz) oder Schlafstörungen.
  6. Die Symptome dauern länger als einen Monat an.
  7. Die Symptome verursachen bedeutsames Leiden und Beeinträchtigungen.
  8. Die Symptome sind nicht Folge einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors.

Wie häufig kommt PTBS vor?

Nicht jede*r, der/die ein traumatisches Ereignis erlebt, entwickelt eine PTBS. Nach DSM-4 Kriterien beträgt die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben an einer PTBS zu erkranken (= Lebenszeitprävalenz) in den USA etwa 9%. In Europa und den meisten asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern liegt die Lebenszeitprävalenz für PTBS zwischen 0,5% und 1%. Eine Studie zur Prävalenz von PTBS bei Jugendlichen in Deutschland ergab, dass etwa 1,3% der Jugendlichen (14-24 Jahre) eine PTBS erleben. Demzufolge bestehen auch kulturelle Unterschiede bei der Entwicklung von PTBS.

Gibt es bestimmte Personen, die eher eine PTBS entwickeln als andere?

Besonders gefährdet sind bestimmte Berufsgruppen, die regelmäßig traumatischen Ereignissen ausgesetzt sind (z.B. Soldat*innen). Ebenso sind Überlebende von Vergewaltigungen, Militäreinsätzen, Gefangenschaft und Genozid häufiger betroffen. Zu den ungünstigen Voraussetzungen gehören u.a. emotionale Probleme in der frühen Kindheit, bestehende psychische Störungen, niedriger sozioökonomischer Status, niedriger Bildungsgrad, niedriger Intelligenzquotient, weibliches Geschlecht und geringes Lebensalter zum Zeitpunkt des Traumas.

Wie wird eine PTBS behandelt?

In der Akutphase wird eine genaue Beobachtung empfohlen, ergänzt durch soziale Unterstützung, Aufklärung und Psychohygiene. Generell lässt sich die Behandlung von PTBS in drei Phasen einteilen:

  1. Stabilisierung: Herstellen von innerer und äußerer Sicherheit; Erlernen von Entspannungs-techniken,
  2. Traumabearbeitung: Konfrontation und
  3. Integration: Einordnung in die Lebensgeschichte und Ausweitung der Perspektive (Rosner, 2008).

Für die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und die narrative Expositionstherapie (NET) liegt eine Reihe von Studien vor, die diese als vielversprechende Verfahren zur Behandlung von PTBS einord-nen (Rosner, 2008).

Schlaf(-störungen) und PTBS

Veränderter Schlaf ist ein mögliches Diagnosekriterium von PTBS, folglich ist schon aufgrund der Störungsdefinition ein gewisser Zusammenhang zu erwarten. Zudem durcherleben viele Betroffene einer PTBS das traumatische Ereignis im Traum erneut, besonders im Kindes- und Jugendalter. Aus dem wiederholten Erleben kann eine Alptraumstörung folgen, welche die Schlafqualität und -quantität beeinträchtigt. Dies kann zu einem schlechteren Allgemeinzustand führen und somit auch die PTBS-Symptomatik verschlimmern - der/die Betroffene befindet sich in einem Teufelskreis.
 

Der Zusammenhang zwischen Schlaf und PTBS kann jedoch auch genutzt werden, um den Betroffenen zu helfen. Während wir schlafen, finden Lernprozesse statt. Wir verarbeiten das am Tag das Erlebte und ordnen es in unsere bisherigen Erfahrungen ein. Dies bezeichnen wir als Gedächtniskonsolidierung. Dieser Prozess kann im Umkehrschluss dazu genutzt werden, die Konsolidierung traumatischer Gedächtnisinhalte zu verhindern, etwa durch Schlafentzug (Walker & van der Helm, 2009). Außerdem kann eine Behandlung der Schlafprobleme dazu führen, dass sich die PTBS-Symptome bessern.

Flüchtlinge und PTBS

Im Jahr 2014 befanden sich mehr als 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, die höchste Zahl, die jemals verzeichnet wurde (Statistisches Bundesamt, 2015). Im Jahr 2016 sind allein in Deutschland von Januar bis Juli 479.620 Asylanträge gestellt worden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2016). Viele der Flüchtlinge haben Krieg, Vertreibung, teilweise auch Gefangenschaft und Folter erlebt.
 

Besonders die Kinder leiden unter dem Verlassen des Heimatlandes, der beschwerlichen Flucht und schließlich dem Einleben in einem fremden Land. Die Prävalenzraten für PTBS bei Flüchtlingskindern schwanken zwischen 14 und 60 Prozent. Viele von ihnen

  • mussten körperliche Misshandlungen mit ansehen (17,7% - 46,3%),
  • erlebten selbst körperliche Misshandlungen (14,4% - 78%),
  • wurden sexuell missbraucht (4,8%),
  • verloren einen Verwandten (40,9% - 52,7%) oder einen Freund (20,9%) (Metzner, Reher, Kindler & Pawils, 2016).

Kinder und Jugendliche stellen mit 138.000 Anträgen ca. ein Drittel aller Asylsuchenden dar (Metzner, Reher, Kindler & Pawils, 2016). Davon kamen 77.645 als unbegleitete Flüchtlingskinder nach Deutschland (Statistisches Bundesamt, 2016).
 

Die Versorgungssituation der Flüchtlingskinder ist prekär. Im Jahr 2015 konnten nur 13500 Geflüchtete in psychosozialen Zentren versorgt werden, was den tatsächlichen Bedarf nicht annähernd deckt (Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer, 2016). Neben der Sprachbarriere sind vor allem bürokratische Hürden und eine zu geringe Anzahl an Therapieplätzen Ursache der Unterversorgung. Zudem stehen bislang keine wissenschaftlich evaluierten Therapiekonzepte für die Versorgung von traumatisierten Flüchtlingen zur Verfügung.
 

Aus diesem Grund richtet die Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche (HAKIJU) der Universität Bielefeld eine Stelle zur Behandlung von traumatisierten Flüchtlingskindern ein. (Weitere Infos folgen).

Literatur

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2016). Aktuelle Zahlen zu Asyl (Juli 2016). URL: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/aktuelle-zahlen-zu-asyl-juli-2016.pdf?__blob=publicationFile

Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (2016). Stellungnahme der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer. URL: https://www.bundestag.de/blob/426680/5813a4bcc9e1c8f6234688c256c8ebf4/bundesweite-arbeitsgemeinschaft-psychosozialer-zentren-fuer-fluechtlinge-und-folteropfer-e--v---baff--data.pdf

Döpfner, M. & Zaudig, M. (2015). Trauma- und belastungsbezogene Störungen. In M. Döpfner und M. Zaudig (Hrsg.), Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5 (361-396). Göttingen: Hogrefe.

Falkai, P. & Wittchen, H.U. (2015). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5. Göttingen: Hogrefe.

Maercker, A. (Hrsg.) (2013). Posttraumatische Belastungsstörungen (4. Aufl.). Berlin: Springer.

Rosner, R. (2008). Posttraumatische Belastungsstörung. In F. Petermann (Hrsg.), Lehrbuch der Klini-schen Kinderpsychologie, 6. Auflage. Göttingen: Hogrefe.

Statistisches Bundesamt (2015). UNHCR: 60 Millionen Menschen auf der Flucht. URL: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/ImFokus/Internationales/Fluechtlinge2014Deutschland.html

Statistisches Bundesamt (2016). Unbegleitete Einreisen Minderjähriger aus dem Ausland lassen Inobhutnahmen 2015 erheblich ansteigen. URL: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/08/PD16_268_225.html

Walker M.P. & van der Helm, E. (2009). Overnight therapy? The role of sleep in emotional brain processing . Psychological Bulletin, 135(5), 731?748.

Zum Seitenanfang