zum Hauptinhalt wechseln zum Hauptmenü wechseln zum Fußbereich wechseln Universität Bielefeld Play Search

Inhalt und Design

Die Jugendkriminalität ist in der öffentlichen Diskussion ein Dauerthema. Darin wird insbesondere bei der Jugendgewalt sowohl von einer Zunahme als auch von einer Intensivierung ausgegangen („sie werden mehr und sie werden schlimmer“). Die Entwicklung der Kriminalität wird kriminologisch auf zwei Arten untersucht: zum einen im Zeitverlauf, wenn es auf die Zunahme oder den Rückgang in vergangenen Jahren ankommt; zum anderen im Altersverlauf, wenn der Beginn, Abbruch, die Kontinuität und die Entstehungsbedingungen delinquenter Verläufe im Prozess der menschlichen Entwicklung im Mittelpunkt stehen.

Die Annahme der steigenden Jugendgewalt bezieht sich auf den Zeitverlauf und dabei vor allem auf die stetige Zunahme von Tätern gefährlicher und schwerer Körperverletzungen im polizeilich und justiziell registrierten Hellfeld zwischen 1994 und 2007 (2008 wurde erstmals ein leichter Rückgang unter westdeutschen Jugendlichen festgestellt). Allerdings sind vor allem nach den vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durchgeführten Täterbefragungen die Anteile von gewalttätigen Jugendlichen und Intensivtätern (einschließlich der Körperverletzungen mit und ohne Waffen) im Dunkelfeld der Kriminalität seit Ende der 1990er Jahre zurückgegangen. Die Diskrepanz zwischen den Hell- und Dunkelfeldbefunden wird vor allem auf eine durch die öffentliche Gewaltdiskussion verstärkte Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung zurückgeführt. Da nur die wenigsten Taten bei der Polizei angezeigt werden, ist das Ausmaß der Kriminalität im Dunkelfeld erheblich größer als das polizeilich bekannte Hellfeld.

Die in den Städten Münster und Duisburg, sowie im Jahr 2001 auch in Bocholt durchgeführte Verlaufsstudie Kriminalität in der modernen Stadt (CRIMOC) hat zum Ziel, Entstehung sowie Verläufe devianter und delinquenter Handlungsstile über die Adoleszenzphase hindurch zu verfolgen und zu erklären.

Um die delinquenzspezifischen Entwicklungen Jugendlicher adäquat erfassen zu können, wurde für die Studie ein kombiniertes Panel- und Kohortendesign gewählt. Auf diese Weise soll dem sehr dynamischen Lebensabschnitt Jugend sowie dem überwiegend episodenhaften Auftreten jugendlicher Devianz empirisch Rechnung getragen werden. Die Besonderheit des gewählten Paneldesigns besteht darin, dass jährlich wiederholte Erhebungen stattfinden, wobei stets dieselben Jugendlichen zu ihrem delinquenten Verhalten befragt werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, Vorgänge auf der individuellen Ebene für jede Untersuchungseinheit nachzuzeichnen, anstatt nur auf der Aggregatebene Angaben machen zu können. Überdies handelt es sich beim Design der Studie um eine Erweiterung des bloßen Paneldesigns zu einem Kohortendesign, welches den Vergleich zwischen den Längsschnitten mehrerer Altersjahrgänge ermöglicht. Nicht zuletzt kann ein Kohortenvergleich erfolgen, der sich vorrangig auf die Gegenüberstellung ein- und derselben Altersstufe zu verschiedenen Zeitpunkten und anhand von Untersuchungsobjekten verschiedener Altersjahrgänge konzentriert. Auch individuelle Delinquenzverläufe können innerhalb einer Kohorte über die verschiedenen Erhebungswellen hinweg analysiert werden.

In der vorliegenden prospektiven Paneluntersuchung wurden beginnend mit dem Jahr 2000 (Klasse 7) in einjährigen Abständen bis 2003 an Münsteraner Schulen Fragebogeninterviews durchgeführt (zu Beginn 1.949 Befragte). Im Jahr 2000 wurden ebenfalls die 9. und 11. Klassen befragt, in Bocholt im Jahr 2001 die 7., 9. und 11. Klasse. Zeitgleich zur dritten Erhebungswelle in Münster 2002, bei der die Jugendlichen inzwischen die 9. Jahrgangsstufe erreicht hatten, wurde die erste Befragungswelle der 7. und 9. Klasse in Duisburg mit dem Ziel durchgeführt, parallel für zwei Alterskohorten einen Datensatz zur Kontrolle von Kohorteneffekten aufzubauen. Dabei wurde in beiden Städten in der ersten Welle eine Vollerhebung der betreffenden Schüler angestrebt, um der Panelmortalität und einer damit einhergehenden starken Reduktion der Fallzahlen entgegenzuwirken.

Die Befragung der Jugendlichen, die Anfang 2002 die 7. Jahrgangsstufe in Duisburg besuchten (zu Beginn 3.411 Befragte), dauert noch bis 2019 an, wobei im späteren Verlauf der Erhebung aufgrund des altersbedingten Verlassens der Schule auf einen postalischen Befragungsmodus umgestellt wurde.  Seit dem Jahr 2009 wird die Befragung zudem in einem zweijährigen Rhythmus durchgeführt. Aus forschungsökonomischen Gründen wurde in 2004 die Untersuchung der älteren Kohorte (9. Klasse von 2002) nicht weitergeführt. Mit den zwei Wellen dieser in 2002 und 2003 erhobenen Duisburger Jahrgangsstufe besteht bereits eine hinreichende Datengrundlage, um eventuelle Kohorteneffekte in der jüngeren Kohorte (Hauptpanel) nachweisen zu können. Insgesamt liegt der Schwerpunkt der kombinierten Kohorten- und Panelstudie demnach auf der Population derjenigen Münsteraner Jugendlichen, die im Jahr 2000 die 7. Klasse, und denjenigen Duisburger Jugendlichen, die im Jahr 2002 die 7. Klasse besuchten (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Erhebungsdesign 2000-2019

Die Delinquenz wurde sowohl für das Dunkelfeld als auch für das Hellfeld der Kriminalität erhoben. Im Rahmen der Dunkelfeldbefragungen berichteten die Jugendlichen selbst begangene Straftaten (Täterbefragung) sowie auch Erfahrungen als Kriminalitätsopfer (Opferbefragung). Abgefragt wurden insgesamt 19 Delikte innerhalb der Täterbefragung und vier Delikte im Rahmen der Opferbefragung. Die abgefragten Delikte der Täterbefragung reichten vom Ladendiebstahl bis zum Raub („Schwarzfahren“, Sexual- oder Tötungsdelikte wurden nicht erhoben). Zu Deliktsgruppen zusammengefasst gehören zu schweren Gewaltdelikten: Raub („Abziehen“), Handtaschenraub und die Körperverletzung mit Waffe; zu Gewaltdelikten gesamt: zusätzlich die Körperverletzung ohne Waffe; zu Eigentumsdelikten: Laden-, Fahrrad-, Kfz- und Automatendiebstahl, sonstiger Diebstahl, Kfz-Aufbruch, Einbruch, Hehlerei; zu Sachbeschädigungen: Graffiti, Scratchen und Sachbeschädigung. Zusätzlich wurde nach Drogenhandel, Drogen- und Alkoholkonsum sowie Internetdelikten gefragt; auf Letztere wird in diesem Beitrag nicht eingegangen. Als Opfererfahrungen wurden Raub („Abziehen“), Körperverletzung mit und ohne Waffe sowie sexuelle Belästigung erhoben. Als Hellfeld wurden für jeden Befragten die polizeilichen Registrierungen sowie Verfahrenseinstellungen und Verurteilungen erhoben.

Für die Zuordnung der Fragebögen über die einzelnen Erhebungswellen hinweg wird ein anonymisiertes mittlerweile bewährtes codeorientiertes, hierarchisches Zuordnungsverfahren verwendet. Dazu füllen die teilnehmenden Jugendlichen in jedem Jahr einen persönlichen Code aus, der in den Fragebögen abgefragt wird.

Überblicksartikel: Jugendkriminalität ‑ Altersverlauf und Erklärungszusammenhänge

 

Siehe mit weiterführenden Verweisen folgende Projektpublikationen:

Boers, Klaus; Seddig, Daniel & Reinecke, Jost (2009): Sozialstrukturelle Bedingungen und Delinquenz im Verlauf des Jugendalters. Analysen mit einem kombinierten Markov- und Wachstumsmodell. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 92 (2/3), 267-288.

Boers, Klaus; Reinecke, Jost; Bentrup Christina; Kanz, Kristina; Kunadt, Susann; Mariotti, Luca; Pöge, Andreas; Pollich, Daniela; Seddig, Daniel; Walburg, Christian; Wittenberg, Jochen (2010): Jugendkriminalität   Altersverlauf und Erklärungszusammenhänge. Ergebnisse der Duisburger Verlaufsstudie Kriminalität in der modernen Stadt. In: Neue Kriminalpolitik, 22(2), 58-66.

Boers, Klaus; Reinecke, Jost; Mariotti, Luca & Seddig, Daniel (2010):  Explaining the Development of Adolescent Violent Delinquency. In: European Journal of Criminology, 7(6), 499-520.

Boers, K.; Reinecke, J.; Bentrup, C.; Daniel, A.; Kanz, K.-M.; Schulte, P.; Seddig, D.; Theimann, M.; Verneuer, L. M. & Walburg, C. (2014): Vom Jugend- zum frühen Erwachsenenalter. Delinquenzverläufe und Erklärungszusammenhänge in der Verlaufsstudie "Kriminalität in der modernen Stadt". In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. 97(3), S. 183-202.


Zum Seitenanfang