Reduzieren, Verfeinern, Ersetzen: Zentraler Bestandteil der Forschungsethik an der Universität Bielefeld.
Jegliche Forschung muss ethisch reflektiert und gerechtfertigt sein, insbesondere wenn sie Menschen oder Tiere betrifft. Der konkrete Nutzen muss immer gegen die Belastung der Tiere abgewogen werden. Doch nicht bei jedem Forschungsansatz ist der konkrete spätere Nutzen immer vorhersehbar. Dies sind oftmals Abwägungen, die die Grundlagenforschung betreffen. Einen weiteren großen Forschungsbereich an der Universität Bielefeld nimmt die Verhaltensforschung ein. Auch diese Versuche werden von einer Behörde geprüft.
Die tierethische Pflicht, das Leiden von Tieren zu minimieren, verlangt vor jedem Tierversuch eine Abwägung, ob der erwartete Nutzen für den Menschen den zu erwartenden Belastungen des Tieres überwiegt. Gleichzeitig muss diese Belastung so weit wie möglich reduziert werden. Die Universität Bielefeld hat sich daher dem 3R-Prinzip verpflichtet.
Wissenschaftler*innen, die mit Tierversuchen arbeiten, tragen eine immense Verantwortung für das Wohlergehen der Versuchstiere. Trotz ihrer Notwendigkeit ist die Reduktion von Tierversuchen auf ein absolutes Minimum ein gemeinsames Ziel. Dabei orientieren sich Forschende an dem ethischen Leitprinzip der "3R": Replace (Vermeiden), Reduce (Verringern) und Refine (Verbessern). Diese Prinzipien wurden von den britischen Forschern William Russell und Rex Burch entwickelt und erstmals 1959 in ihrem Werk "The Principles of Humane Experimental Technique" vorgestellt. Ihr Ziel ist es, die Anzahl der Tierversuche zu begrenzen und das Leiden der Tiere auf ein Minimum zu reduzieren. Die konsequente Anwendung des 3R-Prinzips in allen Bereichen der tierexperimentellen Forschung ist eine Voraussetzung für die Genehmigung von Tierversuchen durch die zuständigen Behörden.
An der Universität Bielefeld steht das 3R-Prinzip im Zentrum unserer Bemühungen, diese Balance zu finden. Dazu zählt ebenso im Vorhinein einen optimalen Versuchsaufbau zu definieren. Bereits bei der Antragsstellung eines Versuchs mit Tieren muss unter anderem der bestmöglich geeignete Organismus ausgewählt werden, um sich dem Erkenntnisgewinn möglichst direkt zu nähern. So kann das Leid von eingesetzten Tieren weiter minimiert werden.
Reduzieren: Weniger ist mehr
Das erste R steht für "Reduzieren". Das Ziel dahinter ist, die Anzahl der Tierversuche so weit wie möglich zu verringern, ohne die Qualität der Forschung zu beeinträchtigen. Durch den Einsatz modernster Technologien wie In-silico-Modelle, Zellkulturen und computergestützte Simulationen können viele Experimente bereits im Vorfeld durchgeführt werden. Durch die Optimierung von Studiendesigns und die Zusammenarbeit zwischen Forschenden kann die Anzahl der benötigten Tiere weiter reduziert werden.
Verfeinern: Optimierung des Tierwohls
Das zweite R steht für "Verfeinern". Wenn Tierversuche eingesetzt werden, wird angestrebt, das Leiden der Tiere zu minimieren. An der Universität Bielefeld wird großer Wert auf die Schulung von Forschenden und Pflegenden im Umgang mit Tieren und die Implementierung von Best Practices für das Tierwohl gelegt.
Ersetzen: Alternativen finden
Das dritte R steht für "Ersetzen". Das langfristige Ziel ist es, Tierversuche nach Möglichkeit durch alternative Methoden zu ersetzen, die ethisch unbedenklich und wissenschaftlich valide sind. Durch Investitionen in die Forschung und Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wird daran gearbeitet, Tierversuche schrittweise zu ersetzen.
Die Universität Bielefeld als Teil des 3R Kompetenznetzwerk NRW
Im Frühjahr 2022 haben sich die acht Medizinischen Fakultäten Nordrhein-Westfalens zu einem gemeinsamen 3R-Kompetenznetzwerk NRW zusammengeschlossen. Das übergeordnete Ziel dieses landesweiten Netzwerks ist es, die biomedizinische Forschung und den medizinischen Fortschritt in NRW mit höchsten Standards des Tierschutzes in Einklang zu bringen. Die Universität Bielefeld ist Teil des Netzwerkes und damit an Vortragsreihen und einem gemeinsamen Austausch zum Thema beteiligt.
Das 3R-Prinzip ist ein zentraler Bestandteil der Forschungsethik an der Universität Bielefeld. Durch das konsequente Anwenden von "Reduzieren, Verfeinern und Ersetzen" wird danach gestrebt, tierversuchsfreie Forschungsmethoden zu etablieren und gleichzeitig wissenschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen. Durch das Engagement für Tierwohl und der Verantwortung, die die Forschenden tragen, ist es für die Universität Bielefeld ein zentrales Thema, eine nachhaltige und ethische Zukunft für die Forschung zu gestalten.
Einer der Forschungsansätze für Tierversuche ist die Grundlagenforschung, die darauf abzielt, Lebensprozesse, Zusammenhänge und Krankheiten besser zu verstehen. Die Verhaltensforschung nimmt in Bielefeld einen anderen großen Bereich ein.
Die Verhaltensforschung an der Universität Bielefeld erforscht Verhalten verschiedener Tierarten und individuelle Ausprägungen. Allein deshalb ist es schwierig auf Tierversuche zu verzichten. Viele Verhaltensweisen, wie Jagd, Paarung, Sozialverhalten und Territorialverhalten, können nur direkt an und mit den Tieren beobachtet und verstanden werden. Die Forschung an Tieren hilft, grundlegende Fragen der Ökologie und Evolution zu beantworten, wie z.B. Anpassungsmechanismen, Überlebensstrategien und Interaktionen innerhalb von Ökosystemen. Sie hilft nicht nur beim Verständnis der arttypischen Verhaltensweisen, sie kann ebenfalls zum Schutz und Arterhalt beitragen.
Obwohl es Fortschritte bei der Entwicklung alternativer Methoden gibt, wie z.B. Computersimulationen, Roboterplattformen oder künstliche Intelligenz, können diese das reale, dynamische und oft unvorhersehbare tierische Verhalten nicht vollständig erfassen. Daher bleiben Tierversuche in der Verhaltensforschung ein unverzichtbares Werkzeug, um das Verhalten von Tieren umfassend und genau zu verstehen.
In der Grundlagenforschung setzen Wissenschaftler*innen Tierversuche ein, weil viele Zellprozesse bei Tieren ähnlich wie beim Menschen ablaufen. Auch die grundlegenden Körperfunktionen lassen sich oft gut vergleichen, beispielsweise Gehör, Sehvermögen, Bewegungen, Atmung und Verdauung. Komplexe Strukturen des Organismus, wie das Nerven- und Immunsystem, können anhand von Mäusen untersucht werden. Sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Organismen können wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse liefern.
Die Suche nach alternativen Methoden nimmt mittlerweile einen bedeutenden Platz in der Wissenschaft ein und wird von verschiedenen Institutionen gezielt unterstützt. Durch den Einsatz von Computersimulationen und Zellkulturen können Forscher*innen in vielen Bereichen bereits auf Tierversuche verzichten. Auch an der Universität Bielefeld gibt es Forschungsbereiche, die zunächst mit Tieren gearbeitet haben und nun darauf verzichten. Dennoch stoßen diese Methoden an ihre Grenzen. Besonders dann, wenn komplexe physiologische Zusammenhänge des gesamten Organismus nachvollzogen werden sollen.
Wie etwa die Funktionsweise des zentralen Nervensystems, die Verarbeitung von Sinnesreizen oder das Zusammenspiel des Kreislaufsystems. Auch die Verbindung von Organen und Geweben kann derzeit nicht künstlich nachgebildet werden. Daher sind Tierversuche häufig unverzichtbar, insbesondere bei der Erforschung komplexer lebensbedrohlicher Krankheiten.
Auch in der Verhaltensbiologie ist ein völliger Verzicht auf den Einsatz von Tieren für die Forschung zurzeit nicht vorstellbar, da das komplexe Verhalten, das das Zusammenspiel von Hormonen, Umweltreizen und deren Wahrnehmung bzw. neuronalen Verarbeitung miteinschließt, nicht durch Alternativmethoden simuliert werden kann. Dennoch wird stetig daran gearbeitet und geforscht, die Tierzahlen zu reduzieren (Reduction) und bei den in Versuchen eingesetzten Tieren das bestmögliche Wohlergehen sicherzustellen (Refinement).