zum Hauptinhalt wechseln zum Hauptmenü wechseln zum Fußbereich wechseln Universität Bielefeld Play Search

Philosophie für die Öffentlichkeit

Logo Community of Practice Public Humanities
Campus der Universität Bielefeld
© Universität Bielefeld

Darf man Harry Potter noch lesen?

Ein Kommentar von Kai Pfeiffer

Der erste Harry Potter Band und Utensilien aus dem Universum: Ein Zauberstab, eine magische Süßigkeitenschachtel sowie die charakteristische Brille.
Foto: Shayna Douglas / Unsplash

Den meisten ist Joanne K. Rowling vermutlich als Autorin der „Harry Potter“-Bücher bekannt. In den letzten Jahren erlangte sie jedoch auch Bekanntheit mit eindeutig transphoben Aussagen. Wie sollte man in Anbetracht dieses Wissens über Rowling bei der Kaufentscheidung der neuen Filme oder des kommenden Videospiels aus moralischer Sicht entscheiden?

Zwischen Tod der Autorin und Solidarität

Eine mögliche Lösung liegt darin, das künstlerische Werk konsequent von dem*der Autor*in zu trennen. Schließlich beinhalten die Geschichten im Harry Potter-Universum selbst keine expliziten transphoben Aussagen. Also, so das Argument, könnte man sie weiterhin kaufen und genießen, unabhängig von dem verwerflichen moralischen Charakter der Autorin.

Demgegenüber steht die Ablehnung des Kaufs aus Solidarität mit den diskriminierten Gruppen. Kaufe man die Werke von unmoralischen Künstler*innen, dann mache man sich der Komplizenschaft schuldig. Der finanzielle Profit eines*r Künstlers*in gehe schließlich Hand in Hand mit einem gesellschaftlichen Prestige und einer enormen medialen Reichweite. Im Falle von Rowling ist dies allzu offensichtlich. Sie wurde durch „Harry Potter“ Milliardärin und nutzt ihre Präsenz auf Twitter nun seit einigen Jahren, um ihre transphobe Weltsicht vor ihren Millionen Followern zu propagieren.

Obwohl diese beiden Argumente häufig vertreten werden, greifen sie zu kurz, wie der Philosoph Erich Hatala Matthes in seinem neuen Buch „Drawing the Line: What to Do with the Work of Immoral Artists from Museum to the Movies“ beschreibt. Einerseits seien sie in ihrer Handlungsempfehlung zu strikt. Beispielweise wäre nach der ersten Argumention der Kauf jedes Werks zulässig, ungeachtet des moralischen Charakters des*der Urheber*in. Da berühmte Künstler*innen wie Rowling aber massiv monetär von ihren Werken profitieren, ist eine konsequente Trennung von Künstlerin und Werk nicht möglich. Der Vorwurf der Komplizenschaft scheint jedoch zu weit zu gehen, denn durch den Kauf stimmt man in den seltensten Fällen der Meinung  des*der Autors*in zu. Man kauft ein „Harry Potter“-Buch für den eigenen Genuss am Lesen, nicht um ein Statement über die Weltsicht des*der Autors*in abzugeben.

Andererseits sind Argumente wie das zweite ungenügend, um für ein Umdenken bei den unmoralischen Künstler*innen zu sorgen. Kauft man mit dem Wissen über Rowlings Haltung gegenüber Transpersonen ein „Harry Potter“-Buch, dann sollte man auch zu der Haltung der Urheberin Stellung beziehen. Diese Stellungnahme muss aber nicht an die Kaufentscheidung der Werke geknüpft sein, da Solidarität sich nicht nur über einen individuellen Boykott ausdrücken lässt. Das ist moralisch vor allem wichtig, da eine einzelne Kaufentscheidung keinen signifikanten Unterschied auf dem Bankkonto des*der Künstler*in bewirkt. Somit ist es fraglich, ob auf diesem Wege ein Umdenken erreicht werden kann und unser individuelles Kaufverhalten moralisch überhaupt ins Gewicht fällt. Rowling bleibt Milliardärin, sie behält ihre Millionen Follower auf Twitter und sie wird vermutlich auch ihre ekelhafte Weltsicht beibehalten.

Ethischer Konsum heißt nicht gleich Verzicht

Dies sollte aber nicht als Freibrief verstanden werden, alle Werke konsumieren zu dürfen, solange der Kauf einen zu geringen Unterschied macht, um moralisch relevant zu sein. Statt sich zu fragen, was man kaufen darf, sollte man sich darauf konzentrieren, wie man mit dem gekauften Werk umgeht. So kann Ausdruck von Solidarität sein, auf das kommende Videospiel im „Harry Potter“-Universum zu verzichten. Es kann aber auch Ausdruck von Solidarität sein, sich mit dem neuen „Phantastische Tierwesen“-Film und dessen Botschaften von Toleranz und Freundschaft gegen Rowlings Bigotterie zu stellen. Die Künstlerin in diesem Fall mit ihrem eigenen Werk zu konfrontieren ist vielleicht zielführender als ein Boykott. Denn vermutlich hört kein*e Künstler*in gerne, dass die eigenen Kunstwerke aufgeklärter sind als der*die Künstler*in selbst.

Eine andere Strategie besteht darin, den eignen finanziellen Beitrag absichtlich gering zu halten, indem man Bücher, Filme und Spiele mit anderen teilt. Gerade Stremingdienste wie Netflix, Spotify und Co. bieten dahingehend ein besonderes Vorteil. Solche Plattformen haben aber auch den großen Nachteil, dass wir kaum noch in der Hand haben, welche Künstler*innen wir finanzieren.

Was sich zeigt, wenn wir diese Überlegungen ernst nehmen und sie in unser Kaufverhalten miteinbeziehen, ist unsere Rolle als ethische*r Konsument*in. Diese offenbart sich nicht nur darin, was gekauft wird, sondern auch darin, wie gekauft und konsumiert wird. Ethischer Konsum bezüglich künstlerischer Werke von unmoralischen Künstler*innen verlangt, die Werke auch in Beziehung mit den moralischen Verfehlungen seines*r Urhebers*in zu betrachten. Diese Beziehung ernst zu nehmen sollte aber nicht darin resultieren, alle Werke voreilig als „unkaufbar“ abzustempeln, wenn dem*der Künstler*in eine moralische Verfehlung nachgewiesen werden konnte. Das ist ein dem Thema angemessener Umgang mit der Entscheidung, ein Werk zu kaufen oder nicht.  

Quellen

Matthes, Erich Hatala (2021): Drawing the line: What to do with the work of immoral artists from museums to the movies. Oxford University Press.


Zurück zur Übersicht

Zum Seitenanfang