„Nullmeridian der Literatur“? Der Literaturnobelpreis als globaler Vergleichsmaßstab
Der erstmals 1901 verliehene Nobelpreis für Literatur ist der weltweit bekannteste Literaturpreis. Er ist nicht nur ein Indikator für die Existenz eines literarischen Feldes von globalem Ausmaß, sondern hat zugleich – so die Leithypothese – wesentlich dazu beigetragen, dieses Feld überhaupt erst zu konstituieren, zu verstetigen und zu strukturieren. Das Teilprojekt ist an der Schnittstelle von Literaturgeschichtsschreibung, literatur- und sozialwissenschaftlicher Kulturpreisforschung und kulturwissenschaftlicher Vergleichsforschung situiert. Es widmet sich der Rekonstruktion des Literaturnobelpreises als einer Institution, die eine Reihe von heterogenen, in der Regel normativen kulturellen Praktiken zu Praxisformationen bündelt und in communities of practice organisiert, um derart die Vorstellung einer globalen Vergleichbarkeit im Bereich der Literatur wirksam werden zu lassen.
Der Literaturnobelpreis muss in diesem Sinne als eine der maßgeblichen Instanzen der Globalisierung von Literatur verstanden werden: Durch ihn konstituiert sich schon früh ein breites sprach- und nationenübergreifendes Aufmerksamkeits- und Aktivitätsfeld für Literatur. Der Preis kann als eine komplexe, serielle und reflexive Vergleichspraxis rekonstruiert werden, die stark divergierende literarische Ereignisse und Erzeugnisse überhaupt erst vergleichbar macht. Mit dem Literaturnobelpreis etabliert sich die Vorstellung, dass Autor*innen und Werke, die in sehr unterschiedlichen regionalen, politischen, sozialen und kulturellen Kontexten situiert sind, gleichwohl vergleichend bewertet werden können. Damit wird er zu einer Institution globaler vergleichender Bewertung, die sich von den regionalen, politischen, sozialen und kulturellen Kontexten abkoppelt und ‚universelle‘ Vergleichsmaßstäbe propagiert.
Durch diese Perspektive verbinden sich einzelne archivbasierte Fallstudien mit der übergreifenden Frage nach der Globalität und Globalisierung des Literaturfeldes. Das Teilprojekt gliedert sich in zwei archivbasierte Teilstudien, neben einer dritten, theoretisch ausgerichteten Teilstudie der beiden Projektleiter.
1. Teilstudie: Vergleichsformationen in der Schwedischen Akademie, 1895 bis ca. 1930 (Max Richter)
2. Teilstudie: Vergleichsformationen im deutschen Literaturverlag nach 1945 (Sarah Nienhaus)
3. Teilstudie: Globale Vergleichspraktiken im internationalen Preiswesen (Jørgen Sneis und Carlos Spoerhase)