Tomke König forscht über Mechanismen der Reproduktion und Transformation von Klassen- und Geschlechterverhältnissen. In ihren mikrosoziologischen Untersuchungen hat sie sich mit Fragen der Macht, der Arbeitsteilung sowie der Vergeschlechtlichung von Subjekten auseinandergesetzt. Das Thema des GRK steht in direktem Zusammenhang mit einem zentralen Befund ihrer empirischen Untersuchungen zu Familie: Geschlecht und Geschlechterverhältnisse sind in einer Umbruchsituation, in der alte Muster zwar fortbestehen, aber nicht mehr ohne weiteres funktionieren. Gleichzeitig fehlen für die neuen Vorstellungen davon, was es heißt, ein Geschlecht zu existieren, häufig (noch) die Worte. Das Neue ist implizit spürbar, wahrnehmbar, aber die Begriffe und Konzepte, die bislang in der Sprache vorhanden sind, reichen nicht aus, um es auszudrücken. Dieser Befund wurde zum Ausgangspunkt einer gemeinsam mit Ulle Jäger entwickelten „erlebensbezogenen Geschlechterforschung“, die auf einer Theorie des Impliziten und Methoden der Versprachlichung des noch nicht Sagbaren basiert.
Heinke Deloch (www.experientielle-beratung.de), Philosophie/Engl. Philologie und Politikwissenschaft (M.A.), ist freiberuflich tätig als Ausbilderin für Experiential und Person-Centered Counseling (GwG e.V.; WAPCEPC e.V.) und Mit-Begründerin der Kreativitäts- und Coachingmethode Experiential Concept-Coaching, die das konkret gespürte körperlich-leibliche Erleben zum Bezugspunkt kreativen Denkens macht. Gründend auf der Ordinary Language Philosophy Ludwig Wittgensteins und dem Ansatz der Experientiellen, Focusing-orientierten Psychotherapie Eugene Gendlins besteht ihr Interesse in der Formulierung und Gestaltung einer Praxis von Wissenschaft, die bei der Persönlichkeit der Wissenschaftler*in mitsamt ihren impliziten, sprachlich noch schwer artikulierbaren Erfahrungen und Interessen ansetzt. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Einbeziehung körperlich-leiblichen Spürens und der schrittweisen Entfaltung sprachlicher Bedeutungen sowie der wechselseitigen Anerkennung und Verschränkung dieser Prozesse in gemeinschaftlichen Denkprozessen. Auch in ihren Publikationen im Kontext von Beratung und Psychotherapie beschäftigt sie sich mit der Verschränkung von psychologischen, sprachphilosophischen und phänomenologischen Aspekten kreativen, selbstbestimmten und ganzheitlichen Denkens.
Walter Erhart forscht und publiziert über literaturwissenschaftliche Themen der Gender Studies, über Theorien der Geschlechterforschung und ihre Weiterentwicklung, aber auch über literarische Inszenierungen von Männlichkeiten seit dem 18. Jahrhundert. Ein besonderes Anliegen ist dabei die Verbindung von historischen und gegenwärtigen Erfahrungswelten von Geschlecht mit literarisch-ästhetischen und narrativen Formen. Aus dieser Perspektive wird vor allem ein genuin ästhetischer und literaturwissenschaftlicher Beitrag zum GRK vorbereitet und gesichert: Dabei geht es um den Erkenntniswert historisch und ästhetisch inszenierter Geschlechterpraktiken sowie um die auch literaturtheoretisch erneuerte Frage, inwieweit Kunst und Literatur eine direkte Erfahrbarkeit des fremden und eigenen Geschlechts ermöglichen.
Oliver Flügel-Martinsen hat in zahlreichen Arbeiten theoretisch-konzeptionell zu Theorieansätzen (u.a. Poststrukturalismus, Diskurstheorien, Subjektivierungstheorien, kritische Gesellschafts- und Politische Theorie) und Autor*innen (u.a. Judith Butler, Michel Foucault, Iris M. Young, Wendy Brown) publiziert, die für das Forschungsprogramm maßgeblich sind. Methodologisch arbeitet er mit hermeneutischen, diskursanalytischen, dekonstruktiven und genealogischen Verfahren, die zudem interdisziplinär ausgerichtet sind. Diese starke interdisziplinäre Dimension (u.a. Politikwissenschaft, Soziologie, Philosophie, Kulturwissenschaft) seiner Forschung ist generell für das Forschungs- und Ausbildungsprogramm des GRK von großer Bedeutung. Thematisch hat er u.a. umfangreich und unter Einbeziehung geschlechtertheoretischer Dimensionen zu Theorien der Subjektivierung, des Widerstands und der politisch-sozialen Transformation gearbeitet, die im GRK eine wichtige Rolle spielen. Insbesondere ist in diesen Forschungen das Spannungsverhältnis verschiedener Dimensionen der Subjektivität/subjektiven Identität und sozialen Ordnungen wichtig.
Valerie Kastrup arbeitet im Rahmen der empirischen Schul- und Unterrichtsforschung zu Fragen der Professionalisierung von Sportlehrer*innen, zu Kommunikations- und Interaktionsprozesse im Sportunterricht sowie zum beruflichen Gesundheitsmanagement und Fragen des Umgangs mit verschiedenen Heterogenitätsdimensionen im Schulsport. Beforscht hat sie den Zusammenhang von Geschlechtszugehörigkeit von Sportlehrkräften und zugeschriebener Kompetenz sowie die hierarchisierenden Dynamiken des von Männern dominierten Berufs des Schulsports.
Vera Kallenberg ist Historikerin und arbeitet an der Schnittstelle von Jüdischer Geschichte, Geschlechterforschung, Nordamerika- und Europastudien. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bielefeld. Im Graduiertenkolleg befasst sie sich mit dem Verhältnis von intersektionaler Erfahrung und kritischer Wissensproduktion im 20. Jahrhundert. Am Beispiel einer jüdischen Migrantin analysiert sie einerseits, wie Erfahrung durch Interpretationen verschiedener zusammenwirkender Ungleichheitsverhältnisse, politischer und sozialer Praktiken und Selbstverhältnisse konstituiert wird. Andererseits erforscht sie, wie solche Erfahrungen das Denken von Erfahrung im akademischen Feminismus informierten. Als Fallstudie dient Leben und Wirken der aus Wien geflüchteten Jüdin und Immigrantin, linken Aktivistin, feministischen Schriftstellerin und US-amerikanische Geschichtsprofessorin Gerda Lerner (1920-2013). Sie gehörte zu den Pionierinnen der akademischen Women’s History und wirkte, ausgehend von den USA, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Impulsgeberin der historische Frauenforschung und des feministischen Denkens. Die Studie zeigt die Wechselwirkungen der zer-/gebrochenen europäisch-jüdischen Erfahrung mit der US-amerikanischen Erfahrung, ihren gesellschaftlichen Verwerfungen und Akteur*innen. Der Fokus auf die historische Erfahrung von Frauen wird dabei als Kohärenzversprechen verstanden, das ein feministischen Bewusstsein und kollektive politische Handlungsfähigkeit schaffen sollte, die auf eine Transformation der Geschlechterverhältnisse abzielte.
Petra Kolip setzt sich in ihren Forschungsprojekten u.a. mit der Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen (Schwangerschaft/Geburt, Wechseljahre) sowie mit der Relevanz von Gender in der Praxis der Prävention und Gesundheitsförderung auseinander. In den Projekten steht die Frage im Zentrum, welche Relevanz die theoretischen und empirischen Erkenntnisse für die Praxis haben, sei es in der gesundheitlichen Versorgung oder in der Konzeption und Durchführung von Prävention und Gesundheitsförderung. Der Theorie-Praxis-Transfer ist konstituierendes Element in den Gesundheitswissenschaften und der gelebte (geschlechtliche) Körper ist zentral.
Diana Lengersdorf forscht zu Fragen von Ereignen, Erleben und Erfahren in einer praxistheoretischen Perspektive und ist hier sowohl an den theoretischen als auch methodischen Diskussionen beteiligt. Lengersdorfs zentrales Forschungsfeld ist der Wandel von Männlichkeitspraxen, u.a. hinsichtlich von Digitalisierungsprozessen, von Familie und Vaterschaft sowie Erwerbsarbeit. Zudem arbeitet Lengersdorf zum Verhältnis von Männlichkeiten und Macht-/Herrschaftskonstellationen.
Julia Roth hat Vorarbeiten zum Konzept der Intersektionalität – insbesondere in transnationalen und postkolonialen Kontexten – geleistet. Darüber hinaus beschäftigt sie sich in ihrer Forschung und Lehre mit Hip Hop als intersektionalem Erfahrungs- und Wissensraum. Zuletzt hat sie zu Geschlecht und Rechtspopulismus geforscht, insbesondere zur Rolle des Geschlechts als „affektive Brücke“ (Gabriele Dietze) für Kämpfe um Hegemonie im neoliberalen Kontext sowie zu feministischen Protesten gegen den rechten Trend als Praktiken der „embodied intersektionality“. Weiterhin hat sie zu Geschlecht und Staatsbürgerschaft als zentrale Dimensionen globaler Ungleichheit publiziert sowie zu den daraus resultierenden „Praktiken der Verkörperung“ von Frauen und marginalisierten Menschen.
Magdalena Suerbaum beschäftigt sich als Anthropologin mit Flucht- und Migrationsprozessen. Ihre regional-ethnographische Expertise umfasst den Nahen Osten und Europa. Sie hat Feldforschungserfahrungen mit syrischen Flüchtlingen in Ägypten und Migrant*innen aus unterschiedlichen Herkunftsländern in Deutschland gesammelt. Ein Kernthema ihrer Forschung ist die Auseinandersetzung mit Geschlecht. Ihre Monographie „Masculinities and Displacement in the Middle East: Syrische Flüchtlinge in Ägypten“ (IB Tauris, 2020) beschreibt, aus intersektionaler Perspektive, den 'Flüchtling' als eine klassifizierte und vergeschlechtlichte Person und analysiert verschiedene Strategien der Konstruktion von Männlichkeiten im Exil. Als Postdoktorandin am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften setzte sich Magdalena Suerbaum mit dem Einfluss rechtlicher und bürokratischer Einordnungen auf das alltägliche Leben von Migrant*innen in Deutschland auseinander. Insbesondere beschäftigte sie sich mit Erfahrungen von Mutterschaft im Kontext rechtlicher Prekarität. In ihrem Habilitationsprojekt arbeitet sie gegenwärtig zu Fragen der Kindererziehung und des intergenerationalen Wissenstransfers unter syrischen Eltern, die in der Türkei und in Deutschland leben. Magdalena Suerbaum promovierte in Gender Studies an der School of Oriental and African Studies (University of London). Sie absolvierte einen Master in Middle East and Islamic Studies an der University of Exeter sowie einen Bachelor in Islamwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg.
Barbara Thiessen forscht zu Beratung in Sozialer Arbeit und in Bildungskontexten. Dabei fokussiert sie Geschlechterkonstruktionen und soziale Ungleichheitslagen im Feld von Care und Familie. Ein Schwerpunkt bildet machtkritische Analysen der Leitbilder von Fachkräften und Organisationen, in die verkörperte Geschlechterpraktiken eingeschrieben sind. Zugleich befasst sie sich mit caretheoretischen Perspektiven auf Angewiesenheit als Weitung pädagogischer Bezugnahmen auf Autonomie.
Heidemarie Winkel forscht im Schnittpunkt von globaler Religions- und transkultureller Geschlechtersoziologie. Sie hat systematisch zum Wandel religiöser Sinn- und Wissensordnungen zu Geschlecht und den damit verknüpften symbolischen Re-Codierungen von Geschlecht gearbeitet. Gegenstandsbereiche sind u.a. feministische religiöse Bewegungen sowie Religion als Sinnressource von Gleichheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen. Ein primärer empirischer Bezugspunkt ihrer Forschung ist der Mashriq. In jüngeren Arbeiten hat sich Winkel der Thematik situierter, erfahrungsbasierter Wissensproduktion über Geschlecht vermehrt aus postkolonialer Perspektive gewidmet. Der Beitrag zum GRK wird neben der Expertise in interpretativer, phänomenologisch orientierter Sozialforschung vor allem darin bestehen, sich religiös basierten Existenzweisen von Geschlecht aus erfahrungs- und wissenssoziologischer Perspektive zu nähern und das Verständnis für Geschlecht als kolonialer Wissens- und Erfahrungskategorie zu vertiefen.
Benedikt Wolf beschäftigt sich in seiner Forschung zentral mit dem Zusammenhang von Geschlecht und Sexualität und dessen Verhältnis zu Literatur. Dabei nimmt er eine methodologische und theoretische Position ein, die sich für die Erscheinungen des literarischen Textes selbst und deren sexuelle und geschlechtliche Dimensionen interessiert. Dadurch tritt das Verhältnis der in den Text eingehenden Erfahrungen und der Erfahrungen, die im Text selbst und seiner Lektüre gemacht werden, ins Zentrum des Interesses. In diesem Sinne hat er sich in seiner Dissertation Penetrierte Männlichkeit mit der Diskursivierung von Körpern und der Körperlichkeit von Texten auseinandergesetzt. Die sexuelle Körperlichkeit von narrativen und lyrischen Texten hat er in Aufsätzen zu Wolfgang Borchert, Dinos Christianopoulos, Hubert Fichte und der anonymen pornographischen Lyriksammlung Die braune Blume weiterverfolgt. Besonders befasst er sich außerdem mit der Literatur der 1970er Jahre.