Professor für Deutsche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit – gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Heisenberg-Professur)
zu den aktuellen Projekten, auch im Rahmen der DFG-Heisenbergprofessur, siehe unten 'Forschung' sowie das Portrait von Julia Thiem, den mediävistischen Podcast 'Pergament und Mikrophon' und das Interview mit dem L.I.S.A. Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung
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Maximilian Benz (Jahrgang 1983) ist Professor für Deutsche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Bielefeld. Er wurde mit einer Arbeit zum Thema „Gesicht und Schrift. Die Erzählung von Jenseitsreisen in Antike und Mittelalter“ (Berlin/Boston 2013, brosch. Ausg. 2022) 2012 an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert; die Habilitation erfolgte 2019 an der Universität Zürich mit der Monographie „Arbeit an der Tradition. Studien zur literarhistorischen Stellung und zur poetischen Struktur der Werke Rudolfs von Ems“, Würzburg 2022). 2018 (2. Aufl. 2019) publizierte Benz „Fragmente einer Sprache der Liebe um 1200“ (Zürich). Er ist Mitherausgeber des „Internationalen Archivs für Sozialgeschichte der Literatur“, der „Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur“ sowie von „Pietas litterata. Internationales Jahrbuch für religiöses Wissen in der deutschen Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit.“ 2020 wurde er in das Heisenbergprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgenommen. Seit 2022 ist er Stellvertretender Sprecher des SFB 1288 "Praktiken des Vergleichens". Als Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin frug er 2022/23 nach der „Emergenz moralischer Subjektivität an der Schwelle zur Neuzeit“.
Ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter:
Höflichkeit – historische Dimensionen eines (trans-)kulturellen Konzept
Gasthg.: Elke Koch, John Greenfield und Markus Stock
Mit Beiträgen von Christian Schneider, Silvia Reuvekamp, Alexander Sager, Ruth Reicher, Martin Baisch, Margreth Egidi und Bernd Bastert
Jahrgang 2023 (Heft 1)
Beiträge
Jan-Dirk Müller
Helden und Heilige. Innerkultureller Transfer
Maximilian Benz
Die Schönheit der Praxis. Christliche Lebenskunst an der Schwelle zur Neuzeit (Thomas von Kempen, De imitatione Christi)
Kai Bremer
Weibliche Autorschaft als Herausforderung für die lehrepische Tradition. Über Catharina Regina von Greiffenbergs Sieges-Säule der Buße (1675)
Diskussion
Rabia Gregory
The Illusion of 'Medieval Christianity'
Gespräch
Barbara Mahlmann-Bauer, Bernd Roling und Friedrich Vollhardt mit Anna Axtner-Borsutzky
Perspektiven des Jahrbuchs innerhalb der Spätmittelalter- und Frühneuzeitforschung
Rezensionen
Christian Schmidt
Die gefürchteten 90 Prozent. Eine neue Geschichte der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts (über: Werner Williams-Krapp, Die Literatur des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, Berlin/Boston 2020)
Julia Gold
Imitatio in ihren vielfältigen Ausprägungen und als Motor der Welt (über: Schaffen und Nachahmen, hg. von Volker Leppin, Berlin/Boston 2021; Imitationen, hg. von Michael Grünbart, Gerald Schwedler und Jörg Sonntag, Paderborn 2021; Christus als Held und seine heroische Nachfolge, hg. von Achim Aurnhammer und Johann Anselm Steiger, Berlin/Boston 2020)
How To-Gentrifizierung der Wissenschaft
in: Zeitschrift für Ideengeschichte XVIII.3 (2024), S. 125-142 (zus. m. Eva Geulen, Carlos Spoerhase, Andreas Dorschel, Barbara Thériault, Marietta Auer, Daniel Schönpflug, Barbara Stollberg-Rilinger u. Julia Voss).
Konturen des Selbst in der Mystik nach Eckhart. Eine Komplementärgeschichte
in: Zeitschrift für deutsche Philologie 143.3 (2024), S. 349-367.
Hermeneutik vs. Ästhetik? Mediävistische Anmerkungen zur Funktion des ‹Ästhetischen› für die Begründung fachlicher Identität
in: Rechtsnorm und ästhetische Reflexion. Studien zum Verhältnis zwischen den Hermeneutiken des Rechts und der Literatur, hrsg. v. Gideon Stiening, Berlin 2024, S. 219-232.
2003-2009 Studium der Deutschen und Klassischen Philologie sowie der Erziehungswissenschaften, LMU München und HU Berlin
2009 Staatsexamen (Amt des Studienrats), Land Berlin
2009-2012 Lehrbeauftragter, Institute für Klassische Philologie und deutsche Literatur, HU Berlin
2012 Wiss. Mitarbeiter, Abteilung für lateinische und griechische Philologie, LMU München; Promotion, Phil. Fak. II, HU Berlin
2012-2020 Wiss. Oberassistent, Deutsches Seminar, Universität Zürich
2015 Gastdozent, Institut für deutsche und niederländische Philologie, FU Berlin
2018-2019 Professurvertreter, Germanistische Mediävistik, Universität Bielefeld
2019 Habilitation, Phil. Fak., Universität Zürich
2020 Aufnahme in das Heisenberg-Programm der DFG, Universität Bielefeld
seit 2020 Professur für Deutsche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Universität Bielefeld
2021–2024 Fachsprecher Germanistik, Universität Bielefeld
seit 2022 Stellvertretender Sprecher des SFB 1288 Praktiken des Vergleichens
2022/23 Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin
seit 2023 assoziiertes Mitglied der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld
seit 2024 Vertrauensdozent der Studienstiftung des deutschen Volkes an der Universität Bielefeld
seit 2024 Mitglied im Kuratorium der Gemeinnützigen Hertie Stiftung
Für ein vollständiges Schriftenverzeichnis von Prof. Dr. Maximilian Benz bitte hier klicken (PDF).
Monographien
Zeitschriften und Buchreihen
Textausgabe
Sammelbände
Aufsätze in Fachzeitschriften und Jahrbüchern
Lexikonartikel
Aufsätze in Sammelbänden
Kleinere Beiträge
Link zum eKVV mit den Veranstaltungen früherer Semester
VL Fragmente einer Sprache der Liebe um 1200
Mittwoch, 14 Uhr, Hörsaal 2
Was ist die Liebe? Ein starkes Gefühl, eine intersubjektive Relation, eine christliche Tugend, eine göttliche Eigenschaft. Im Mittelalter ist es vor allem eine Kunst – etwas, das man regelgeleitet auszuführen hat.
Im Anschluss an Roland Barthes werden in der Vorlesung pro Sitzung zwei alphabetisch angeordnete Fragmente vorgestellt – von «Abhängigkeit» bis «Zugrundegehen». Die Vorlesung führt dabei in wichtige Texte der mittelhochdeutschen Literatur ein.
Von Fragment zu Fragment gilt es, eine Sprache der Sinnlichkeit zu entdecken, die in diskursive Traditionen eingebunden ist und ihr Sinnversprechen wie Verheissungspotential aus dieser Einbindung bezieht; eine Sprache der suggerierten Unmittelbarkeit, die gekonnt mit Vermittlungsformen umgeht; eine Sprache der Liebe zwischen zweien, die auf Formen von Gemeinschaft und Sozialität angewiesen bleibt.
SE Um 1500: Jenseitsreisen an der Schwelle zur Neuzeit
Montag, 12 Uhr, Seminarraum T7-138
Erzählungen von Jenseitsreisen waren über das gesamte Mittelalter beliebt und wurden rezipiert: nicht nur als eigenständige Erzählungen, sondern auch Beispiel in Predigten. Wir beschäftigen uns zunächst mit den beiden wichtigsten Erzählungen (in neuhochdeutscher Übersetzung): mit der "Visio Tnugdali", in der der Ritter Tnugdalus höllische Straf- und himmlische Lohnorte erfährt, und dem "Tractatus de Purgatorio S. Patricii", in dem davon berichtet wird, wie sich der Ritter Owein ins Jenseits begibt. Beide Erzählungen entstammen dem 12. Jahrhundert, wurden aber bis an die Schwelle zur Neuzeit tradiert. Im zweiten Teil des Seminars wollen wir uns deshalb sowohl handschriftliche wie auch gedruckte Bearbeitungen und Übersetzungen (ins Frühneuhochdeutsche) gemeinsam ansehen und dabei literaturgeschichtliche Fragen medien- und sozialgeschichtlich erweitern.
SE Praktiken des Vergleichens: interdisziplinäre Perspektiven (mit Antje Flüchter und Martin Petzke)
Dienstag, 14 Uhr, bzw. Block
Wir vergleichen ständig: Praktiken des Vergleichens ordnen und verändern die Welt. Im Seminar geben wir am Beispiel von Selbstvergleichen, Vergleichen zur Ordnung der Menschen und Religionsvergleichen quellennah und auf der Basis der aktuellen Forschung Einblicke in Praktiken des Vergleichens vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart.
Bitte beachten Sie, dass das Seminar nach einer Vorbesprechung als Blockveranstaltung durchgeführt werden wird.
SE Forschungskolloquium: Höhere Kritik (mit Gideon Stiening)
Montag, 16 Uhr, Seminarraum T2-220
Das Forschungskolloquium dient zum einen der Vorstellung und Diskussion von Abschlussarbeiten, bietet darüber hinaus aber auch Raum, um im Rahmen von Gastvorträgen oder durch die Lektüre von Texten Einblicke in aktuelle Tendenzen der Literaturwissenschaft zu erhalten. Schwerpunkt des Forschungskolloquiums im Wintersemester werden methodologische Fragen sein. Erhard Schüttpelz erinnerte neulich daran, dass Philologien auch andere Aufgaben haben, als Interpretationen von Texten anzufertigen. Dem gehen wir gemeinsam nach.
Beteiligungen
seit 2018
seit 2021
seit 2022
Stellvertretender Sprecher des SFB 1288 "Praktiken des Vergleichens" (Universität Bielefeld)
Eigene Projekte
Eine illustrierte Weltchronik des 15. Jahrhunderts im Kontext
(Mitarbeiter: Ruben Herrmann; in Kooperation mit dem Kupferstichkabinett, Berlin, Kristina Domanski, Basel, und Margit Krenn, Heidelberg)
Bei der Toggenburger Weltchronik, heute in Berlin, Staatliche Museen – Kupferstichkabinett, Codex 78 E 1, handelt es sich um eine der wenigen Prachthandschriften deutschsprachiger Literatur des frühen 15. Jahrhunderts. Der Codex enthält die Weltchronik Rudolfs von Ems in einer sorgfältigen Redaktion und ist mit einer aufwendigen Illustrationsfolge versehen. Ausnahmsweise sind sogar Auftraggeber und Entstehungszeit dank eines ausführlichen Eintrags des Schreibers Dietrich, Kaplan zu Lichtensteig, auf dem letzten Blatt des Codex bekannt. Demnach wurde die Abschrift am Freitag vor Pfingsten, dem 29. Mai, im Jahr 1411 fertiggestellt und war für Graf Friedrich VII. von Toggenburg und seine Frau Elisabeth von Matsch bestimmt. Trotz ihrer eminenten Bedeutung ist die Cimelie kaum bekannt, da die aktuelle Bindung ein eingehendes Studium nicht erlaubt. Das avisierte Projekt in Kooperation mit dem Kupferstichkabinett in Berlin hat deshalb die Digitalisierung verbunden mit einer wissenschaftlichen Untersuchung des Manuskriptes zum Ziel.
Die Emergenz moralischer Subjektivität an der Schwelle zur Neuzeit
(Wissenschaftskolleg zu Berlin, in Zusammenhang mit dem SFB 1288 und meinem DFG Heisenberg-Projekt)
Moralische Subjektivität, also die Möglichkeit, die Grundsätze des Handelns ‹aus sich› heraus zu entwickeln, ist, so scheint es zumindest, mit einem christlichen ordo unvereinbar. Besonders einflußreich, aber auch vielfach kritisiert, hat Michel Foucault die pagane Antike mit ihren Selbsttechniken, die es Individuen erlauben, sich als moralische Subjekte zu begreifen, dem Christentum gegenübergestellt – mit Folgen bis in die Moderne, sofern man auch hier das Subjekt à la française nicht als ‹souverän›, sondern (mit Friedrich Nietzsche noch immer) als ‹unterworfen› begreift.
Unabhängig von normativen Implikationen und diesseits einer Dichotomie von ‹Bruch› und ‹Kontinuität› soll mit Blick auf genuin christliche Selbsttechniken, die sich nachgerade im Spätmittelalter in je unterschiedlichen Anschlüssen an den umfassend geltenden Imperativ einer imitatio Christi herausbilden, eine Komplementär- (und keine Vor-) Geschichte moderner Subjektivität herausgearbeitet werden.
Die Selbsttechniken von Mystikern und ‹modernen Devoten› entwickeln unter Nutzung von Textproduktionsmechanismen die Schaffung eines ‹Ichs›, das nicht in der Erfüllung eines Regelkodex besteht, sondern sich selbst konstituiert: Man kann diesen Zusammenhang pointieren im Sinne einer christomimetischen Poiesis der Existenz. Nicht nur im ‹langen› 15. Jahrhundert, dem Säkulum sowohl der Reform als auch der Latenz, lassen sich diese textinduzierten Selbsttechniken beobachten, sondern – auf je unterschiedliche Weise – auch im reformatorischen Anschluß an spätmittelalterliche Frömmigkeit sowie in der gegenreformatorischen Reaktion.
Druckgeschichten. Volkssprachiges Erzählen und theologisches Wissen im 16. Jahrhundert
(DFG Heisenberg-Projekt)
Die volkssprachigen Texte des 16. Jahrhunderts wurden lange Zeit für ästhetisch unbefriedigend gehalten. Zwar sind solche Wertungen seit längerem obsolet, die Literatur des 16. Jahrhunderts erfährt allerdings immer noch nicht die nötige Aufmerksamkeit – mit der Erforschung der Prosaromane als Ausnahme. Eine besondere Herausforderung ist das komplexe Ineinander von Aspekten des Medienwandels einerseits, der sich je für Gattungen unterschiedlich darstellt, der besonderen Bedingungen literarischer Produktion im Zeichen konfessioneller Auseinandersetzungen andererseits. Die Prozesse, die gerade auch unter der Nutzung neuer Publikationsformen zur Herausbildung einer Öffentlichkeit führen, sind insgesamt gut aufgearbeitet; dabei sind allerdings zunächst Gattungen mit offensichtlichem Bezug zu kontroverstheologischen Auseinandersetzungen wie das Flugblatt sowohl sprach- wie literaturwissenschaftlich untersucht worden. Mögliche Verbindungen gerade theologischer Wissensbestände mit genuinen Erzählweisen im Feld von Kurzerzählungen und Romanen sind bislang aber selten erwogen worden.
Prominente Arbeiten zur ‚Wissenspoetik‘ haben vielmehr an der Ökonomie angesetzt. Ohne Zweifel spielt der ökonomische Diskurs im 16. Jahrhundert eine große Rolle, allerdings scheint seine Privilegierung gegenüber theologischen Fragen selbst dort, wo sich beides wie etwa in der wichtigen Frage der Haushaltung verbindet, Ergebnis eines diskursarchäologischen Interesses zu sein und bleibt gegenwartsbezogen. Demgegenüber ist zu konstatieren, dass gerade die konfessionelle Spaltung zu einer weitestgehenden ‚Durchformung‘ der laikalen Kultur durch theologische Wissensbestände führt. In heuristischer Perspektive erscheint es deshalb sinnvoll, tentativ zur Erforschung der Literatur des 16. Jahrhunderts theologisches Wissen als relevanten Kontext anzulegen.
Dafür bietet die dichte Quellensituation des 16. Jahrhunderts eine vorzügliche Ausgangslage, die für die Erschließung der Texte nicht konsequent genutzt wird. In meinem Projekt soll, bezogen auf konkrete Einzelfälle, aber mit einer einheitlichen methodischen Stoßrichtung, das Problem der Relationierung von Text und Kontext in Verbindung gebracht werden mit der Frage nach Genese und Transformation von Erzählweisen. Dass dabei (kontrovers‑)theologisches Wissen besonders wichtig ist, liegt vor allem auch daran, dass theologische Wissensbestände in besonderem Maße nicht nur durch ihren propositionalen Gehalt ausgezeichnet sind: Im Bereich der Religion ist der Wissensgehalt – wie etwa die Möglichkeiten des Bibliolekts zeigen – häufig mit einer spezifischen Ausdrucksform verbunden, wobei allerdings die innerhalb kontroverstheologischer Diskussionen erhöhte Aufmerksamkeit zu besonderen Effekten führt. Im Rahmen kontroverstheologischer Auseinandersetzungen kann man etwa an die Karikierbarkeit spätscholastischer Diktion denken, darüber hinaus lassen sich aber ganz grundsätzlich im Sprachgebrauch konfessionelle Marker erkennen. Als konkreter, heuristisch wertvoller Ansatzpunkt der Rekonstruktion eines historisch adäquaten Text-Kontext-Verhältnisses bietet sich das Programm der Offizinen an – die Forschung hat hier etwa für die Historia von D. Johann Fausten bereits angesetzt, dabei zunächst allerdings nur das konfessionelle Profil des Druckers (und möglichen Kompilators) Spieß herausgearbeitet; zur konfessionellen Bindung von Offizinen liegen zahlreiche Arbeiten mit regionalem Schwerpunkt vor, aber auch in literaturgeschichtlicher Hinsicht ist das Programm von Offizinen aufschlussreich. Das theologische Profil, das sich aus den Druckprogrammen ergibt, wurde bislang aber kaum in Verbindung gebracht mit konkreten Erzählweisen.
Demgegenüber soll gerade die Erforschung möglicher Interferenzen zwischen Form-, Medien- und Wissensgeschichte dazu beitragen, die besondere Erzählweise der erzählenden Literatur des 16. Jahrhunderts, gerade auch der Prosaromane, diesseits der von Clemens Lugowski entwickelten Kategorien zu beschreiben. Seine Arbeit über die Form der Individualität im Roman ist nach ihrem Erscheinen 1932 und insbesondere nach dem Krieg kaum gewürdigt worden, hat aber in den vergangenen Jahrzehnten eine erhöhte Aufmerksamkeit erfahren. Zu Recht wurde bei aller Problematik ihre heuristische Kraft zur Beschreibung neuer Erzähltypen betont, sodass die Kategorien Lugowskis – besonders etwa die ‚Motivation von hinten‘, das ‚Gehabtsein der Figuren‘ oder die ‚thematische Überfremdung‘ – die Analyse der Literatur des 16. Jahrhunderts prägen. Es handelt sich allerdings um sehr allgemeine Kategorien, die für den Umgang mit vorgoethezeitlicher Literatur als brauchbar erwiesen, jedoch liegt die besondere Attraktivität in der thematischen Bindung von Formkategorien. Hier lassen sich mit Blick auf Figurendarstellung und Ereignisverknüpfung gerade unter Rekurs auf theologisches Wissen fallbezogen spezifischere Verknüpfungen anstellen.
Eine in diesem Sinne integrative Perspektive ist auf die vielfältige Literatur des 16. Jahrhunderts auszuweiten. So bietet es sich beispielsweise an, die Straßburger Offizin Jakob Cammerlanders und die in ihr erschienenen Werke eingehend zu betrachten. Unter dem Pseudonym Jakob (Johannes, Martin) Vielfeld (Polychorius, Multager, Multicampianus) trug er maßgeblich zum an sich populär ausgerichteten Programm seiner Offizin bei, indem er nicht nur kompilierte (u. a. eine Ketzerchronik oder eine Fazetien-Anthologie), sondern ältere Werke (z. B. den dt. Lucidarius, die dt. Ausgabe von Boccaccios Decamerone, den Fortunatus oder den Ritter vom Thurn) auch bearbeitete und dabei häufig im Sinne des Protestantismus eingriff. Über die oft noch maßgebliche Quellenforschung des 19. Jahrhunderts hinaus wurden einzelne Werke im Zusammenhang thematischer Fragestellungen untersucht, eine weitergehend integrative Perspektive aber nicht angewandt, die über allgemeine Feststellungen hinausginge. Es lassen sich aber nicht nur die jeweiligen von Vielfeld kompilierten oder bearbeiteten Werke in einen Zusammenhang stellen, sondern es kann sich auch lohnen, die weitere, in der Offizin erschienene Literatur in die Betrachtung einzubeziehen. Gerade die Engführung von Kontextmodellierung und Darstellungsverfahren steuert dabei einer für die Frühneuzeitforschung konstatierten (und inkriminierten) Tendenz zum ‚Neopositivismus‘ gegen.
Umgangsweisen mit der Verbindlichkeit volkssprachiger Literatur. Perspektiven auf den Wandel des Romans um und nach 1220
(DFG Heisenberg-Projekt)
Ähnlich wie die Literatur des 16. Jahrhunderts werden die vollständig auf uns gekommenen Romane der volkssprachigen Literatur um und nach 1220 – Wirnts von Grafenberg Wigalois, Konrad Flecks Flore und Blanscheflur, Strickers Daniel von dem blühenden Tal und sein Karl, Rudolfs von Ems Barlaam und Josaphat sowie Willehalm von Orlens, Heinrichs von dem Türlin Crône – von der Forschung seit langem nicht mehr mit dem Epigonalitätsverdacht betrachtet, der auch hier ausgehend vom 19. Jahrhundert die Beschäftigung prägte. Dennoch sind die literarhistorische Stellung dieser Texte und ihr Zusammenhang nicht befriedigend geklärt. Eine Gesamtsicht der Literatur der Zeit um und nach 1220 ist in letzter Zeit nicht verfasst worden, sodass eigentlich überholte Etikettierungen, vor allem die des ‚Nachklassischen‘ zumindest behelfsmäßig immer noch gebraucht werden. Eine konzeptionell weiterführende Ausformulierung dessen, was unter ‚Nachklassik‘ verstanden werden kann, hat Walter Haug vorgelegt. Mit besonders weitem Fokus hat er das Chrétiensche Strukturmodell als Ausgangspunkt gesetzt und es somit implizit zum zentralen Charakteristikum des ‚Klassischen‘ erhoben.
Es ist die in der Projektarbeit zu prüfende Hypothese des Projekts, dass die Romane auf je eigene Weise mit dem Problem der Verbindlichkeit volkssprachiger Literatur umgehen. Verbindlichkeit ist als literarhistorische Kategorie für den Diskussionszusammenhang bereits eingeführt, soll hier jedoch in spezifischer Weise erweitert werden. Es geht nicht um die Entwicklung einer starren Typologie, vielmehr scheint Verbindlichkeit als mittlere Kategorie, die sich der Dichotomie von ‚wahr‘ und ‚falsch‘ ebenso widersetzt, wie sie es vermeidet, ein (historisch so nicht adäquat formulierbares, aufgrund der Implikationen unumgänglich anachronistisches) Fiktionalitätskonzept postulieren zu müssen, dabei aber integrierbar ist in ein Modell literarischer Kommunikation, das einerseits von der heteronomen Bindung der mittelhochdeutschen Erzählliteratur ausgeht, andererseits aber auch Freiräume literarischen Eigensinns zu beschreiben vermag. Transzendiert wird dabei auch eine historisch wohl inadäquate Dichotomisierung von didaktischem und ästhetischem Anspruch.
Zunächst wird der Fokus – gegen die Usancen der Erzählforschung – nicht nur auf den Modus des Erzählens gelegt, sondern auch auf das Erzählte, was erst in einem zweiten Schritt die Art und Weise des Erzählens miteinschließt. Damit wird die besondere Bedeutung reflektiert, die die materia in den poetologischen Diskussionen der Zeit einnimmt. Der Verbindlichkeitsgrad der Romane ist skalierbar und auf unterschiedlichen Ebenen anzusetzen, wobei zunächst die Kernaspekte von Figur, Zeit, Raum und Handlung zu unterscheiden sind. Verbindlichkeit meint die Übereinstimmung zwischen literarischer Darstellung und normativem Bezugssystem, das je nach Text und Kategorie zu beschreiben ist. Insofern leistet auch dieses Projekt einen Beitrag zu einer historisch spezifischen Narratologie. Es ist möglich, dass ein Text auf verschiedenen Ebenen durch eine Erhöhung des Verbindlichkeitsgrads ausgezeichnet ist (so etwa Rudolfs Willehalm von Orlens); es kann aber auch sein, dass zwar mit Blick auf die Figur der Verbindlichkeitsgrad erhöht, durch eine disparate Einbindung der Figur in den Handlungszusammenhang diese Erhöhung des Verbindlichkeitsgrads wiederum unterminiert wird (wie man mit Blick auf Gawein in Heinrichs Crône feststellen kann): Es stellen sich dann interpretativ zu lösende Anschlussfragen.
Die Untersuchung der Romane um und nach 1220 dient der Erhellung einer der wesentlichen Formierungsphasen volkssprachigen Erzählens im Mittelalter, wobei die literarhistorische Stellung der Texte durch ihre Verortung in einem Modell literarischer Kommunikation erschlossen werden soll. Nach Umgangsweisen mit dem Verbindlichkeitsgrad volkssprachiger Romane zu fragen, setzt zunächst voraus, die Bezugnahme der literarischen Texte auf die vorfindliche volkssprachige Tradition mit den literarisch transformierten Wissensbeständen (Genealogie, Geschichte, Herrschaft, Recht, Religion) und ihren jeweiligen formästhetischen und narrativen Implikationen in Verbindung zu bringen.
Eigene Projekte
2021 "Digital durchs Fachportal" (Qualitätsfonds, Univ. Bielefeld; Mitarbeiter: Ruben Herrmann)
2022-2023 "Immersives Lernen durch virtuelle Escape Room-Erfahrungen" (Qualitätsfonds, Univ. Bielefeld, gem. mit Julia Gold [Konzeption]; Mitarbeiter[in]: Nils Ott/Neele Becker)
2022-2024 "Digitalität und Textualität. Mixed Methods in der germanistischen Literaturwissenschaft" (gemeinsam mit Berenike Herrmann, Curriculum 4.0.NRW)
2023 "Co-Prints. Offizinen als heuristischer Ansatzpunkt der Kontextmodellierung. Beiträge zur Literaturgeschichte im Zeichen von Konfessionalisierung und Konversionalisierung (1555-1618)" (Tagung; Fritz Thyssen Stiftung)
Beteiligungen
2009-2012 Stipendiat, EXC "Topoi" (HU und FU Berlin) und SFB "Transformationen der Antike" (HU Berlin, Leitung: Hartmut Böhme)
2013 Mitarbeiter, NCCR "Mediality" (Univ. Zürich, Leitung: Christian Kiening)
2014, 2016/2017 Koordinator, SNF Sinergia "Poetik und Ästhetik des Staunens" (Univ. Zürich, Leitung: Mireille Schnyder)
2015-2019 Mitglied, DFG-Netzwerk "Legendarisches Erzählen. Formen, Funktionen und Kontexte der deutschsprachigen Heiligenerzählung" (mit Julia Weitbrecht, Elke Koch, Andreas Hammer, Nina Nowakowski, Stephanie Seidl und Johannes Traulsen)
2018-2019 Mitglied, Einstein-Zirkel "Asynchronien" (FU Berlin, Leitung: Jutta Eming)
2018-2022 SNF Projekt "Hybride Zeiten" (Univ. Zürich, Leitung: Christian Kiening)
2021-2022 Mitglied des Arbeitskreises "Text & Textlichkeit" der Fritz Thyssen Stiftung
Das Jahrbuch Pietas litterata ist ein Publikationsorgan für eine philologisch ausgerichtete, interdisziplinär orientierte Forschung zur Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Deren Kontexte sind häufig theologische, zu ihrer Erschließung ist aber auch geschichtswissenschaftliche, philosophiegeschichtliche und historisch-soziologische Expertise wichtig. Die seit Längerem diskutierte Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Wissen wird vor dem Hintergrund eines erweiterten Literaturbegriffs mit Blick auf die vielfältigen Formen religiösen Wissens in Texten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit fallbezogen adressiert.
Der Titel des Jahrbuchs geht zurück auf das von Melanchthon geprägte Schlagwort ‚pietas litterata‘, das im Anschluss an Cicero eine „Konkordanz von christlicher Gesittung und literarischer Bildung“ (Wilhelm Kühlmann) forderte; es soll hier aber allgemein für den Zusammenhang von Theologie, Frömmigkeit und literarischer Produktion stehen, der für Texte des Spätmittelalters und des ‚Konfessionellen Zeitalters‘ von größter Bedeutung ist. Entgegen der im Gefolge der nationalsprachlichen Begründung der Philologien üblichen Scheidung volkssprachiger und lateinischer Texte liegt der Schwerpunkt des Jahrbuchs auf der deutschen Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit unter Einschluss des Lateinischen. Von Interesse sind aber auch komparatistische Perspektiven auf europäische Literaturen ausserhalb des deutschsprachigen Raums.
Im Zentrum des Jahrbuchs, das jeweils im Frühjahr im Anton Hiersemann-Verlag (Stuttgart) erscheint, stehen Studien, die durch ausführliche (Sammel-)Besprechungen sowie Gespräche zu Fragen von Methode und Gegenstand ergänzt werden.
English version
Pietas litterata is an international yearbook dedicated to philological and interdisciplinary research in the literature of the Late Middle Ages and the Early Modern Period. In spite of its overt religious and theological character, this literature also demands historical, philosophical and sociological analysis for its full appreciation. The yearbook publishes case studies that address longstanding questions regarding the relationship between literature grasped broadly and diverse forms of religious knowledge operative in late medieval and early modern texts.
The yearbook’s title harks back to the phrase ‘pietas litterata’ coined by Melanchthon, who drew on Cicero to claim a “concordance of Christian ethos and literary formation” (Wilhelm Kühlmann). In the present context, the term refers more specifically to the connection between theology, piety and literary production that was of utmost importance for texts of the Late Middle Ages and the ‘denominational age.’ In contradistinction to the separation of vernacular and Latin texts prevalent in the wake of emerging national philologies across Europe, Pietas litterata places particular emphasis on late medieval and early modern German literature and Latin literary works. Comparative perspectives on European literatures outside the German-speaking lands are also welcome.
The yearbook is a peer-reviewed publication that appears every spring with Anton Hiersemann Press based in Stuttgart. It contains scholarly essays in German and English accompanied by detailed reviews of scholarly monographs and anthologies as well as conversations about new methodologies and subject matter.
Jahrgang 2023 (Heft 1)
Maximilian Benz
Editorial
Beiträge
Jan-Dirk Müller
Helden und Heilige. Innerkultureller Transfer
Maximilian Benz
Die Schönheit der Praxis. Christliche Lebenskunst an der Schwelle zur Neuzeit (Thomas von Kempen, De imitatione Christi)
Kai Bremer
Weibliche Autorschaft als Herausforderung für die lehrepische Tradition. Über Catharina Regina von Greiffenbergs Sieges-Säule der Buße (1675)
Diskussion
Rabia Gregory
The Illusion of 'Medieval Christianity'
Gespräch
Barbara Mahlmann-Bauer, Bernd Roling und Friedrich Vollhardt mit Anna Axtner-Borsutzky
Perspektiven des Jahrbuchs innerhalb der Spätmittelalter- und Frühneuzeitforschung
Rezensionen
Christian Schmidt
Die gefürchteten 90 Prozent. Eine neue Geschichte der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts (über: Werner Williams-Krapp, Die Literatur des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, Berlin/Boston 2020)
Julia Gold
Imitatio in ihren vielfältigen Ausprägungen und als Motor der Welt (über: Schaffen und Nachahmen, hg. von Volker Leppin, Berlin/Boston 2021; Imitationen, hg. von Michael Grünbart, Gerald Schwedler und Jörg Sonntag, Paderborn 2021; Christus als Held und seine heroische Nachfolge, hg. von Achim Aurnhammer und Johann Anselm Steiger, Berlin/Boston 2020)
Von 14 bis 16 Uhr findet der vorbereitende Workshop für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Hörsaal 2 statt.
Die Spätmittelalter- und Frühneuzeitforschung eröffnet der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft eine integrative Perspektive. Sie stellt einen durch methodische, systematische und historische Interessen verbundenen Zusammenhang dar. Neben der Frage des Verhältnisses einer genuinen Kultur- zu einer Literaturwissenschaft ist es vor allem der Zusammenhang linguistischer und literaturwissenschaftlicher Forschung, der einer intensiven Diskussion bedarf. Bei aller gebotenen Ausdifferenzierung hat sich eine weitgehende Trennung der beiden Teildisziplinen als unvorteilhaft erwiesen; gerade die ‹Digital Humanities› bieten Gelegenheit, die beiden Elemente der Philologien in neuer Weise zusammenzuführen.
Eine einmal im Jahr stattfindende Gastvorlesung ‹LiLi in Spätmittelalter und Früher Neuzeit› soll für die Verbindung von Sprach- und Literaturwissenschaft mit besonderem Augenmerk auf Fragen der Digitalisierung neue Impulse liefern. Sie wird von einer renommierten Forscherin/einem renommierten Forscher gehalten, die/der an der Schnittstelle von sprach- und literaturwissenschaftlicher Forschung im Spätmittelalter oder in der Frühen Neuzeit arbeitet. Die Vorlesung wird vorbereitet werden durch einen Workshop für Nachwuchsforscherinnen und ‑forscher, auf dem an konkreten Problemstellungen aus Qualifikationsarbeiten die Implikationen einer vertieften Zusammenarbeit zwischen Linguistik und Literaturwissenschaft diskutiert werden sollen.
Es ist uns eine besondere Ehre, daß wir für die dritte Gastvorlesung Prof. Dr. Beate Kellner (München) gewinnen konnten.
Frühere Vortragende: Prof. Dr. Christian Kiening (2021), Prof. Dr. Elke Koch (2022), Prof. Dr. Marina Münkler (2023).