Die Hauptverhandlung bildet das Kernstück des Strafverfahrens. Sie soll eine abschließende Klärung der Schuld- und Straffrage herbeiführen. Entschieden wird, ob sich jemand strafbar gemacht hat, aber auch, welche Strafe der Schuld angemessen ist. Der konkrete Termin für die Hauptverhandlung wird vom Gericht festgesetzt. Als Zeugin/Zeuge erhalten Sie Informationen über den Termin und die Adresse des zuständigen Gerichts in der Ladung, welche Sie per Post erreicht (s. auch Zeugenaussage vor Gericht). Die Hauptverhandlung kann sich in umfangreicheren oder komplizierteren Verfahren über mehrere Termine erstrecken, daher lässt sich die Dauer einer Hauptverhandlung nicht im Vorhinein bestimmen. Sie hängt vielmehr von der verhandelten Sache und auch der Verteidigungsstrategie ab. Üblicherweise erfolgt die Verhandlung vor dem Amtsgericht, wenn es sich um kleinere Straftaten handelt, und vor dem Landgericht, wenn größere Straftaten verhandelt werden.
Eine Hauptverhandlung folgt - anders als Vernehmungen im Ermittlungsverfahren - einem festen Ablauf, der in der Strafprozessordnung im Einzelnen festgelegt ist. Obwohl jede Hauptverhandlung ihre eigenen Akzente setzt, mal länger und mal kürzer dauern kann, und auch einmal über Verständigungen oder Einstellungen schnell ein Ende finden können, verläuft eine Hauptverhandlung klassischerweise wie folgt (die Einzelheiten folgen sogleich):
Die Hauptverhandlung beginnt damit, dass die „Sache“ (damit ist die Rechtsangelegenheit gemeint, die verhandelt werden soll) aufgerufen wird. In dem Aufruf werden die Beteiligten, die üblicherweise vor dem Saal warten und nur selten schon im Saal sind (v.a. Gericht und Staatsanwaltschaft), gebeten, den Sitzungssaal zu betreten. In einigen Gerichten gibt es separate Zeugenzimmer. In dem Fall ist bei Aufruf dieses zu verlassen und der Sitzungssaal aufzusuchen, wobei regelmäßig Personen anwesend sind, die aushelfen.
Nach Betreten des Gerichtsaals wird festgesellt, ob auch alle Verfahrensbeteiligten (s.o.) anwesend sind, insbesondere ob der Angeklagte erschienen ist und sämtliche geladenen Zeugen anwesend sind. Als Zeuge sind Sie grundsätzlich verpflichtet zu erscheinen und auszusagen und Sie haben dabei die Wahrheit zu sagen. Nicht erscheinen dürfen Sie ausschließlich dann, wenn Sie einen wichtigen Grund vorweisen können (z.B. schwerere Erkrankung) und das Gericht Ihnen die Abwesenheit gestattet. Zumeist wird dann ein neuer Termin anberaumt. In jedem Fall müssen Sie Ihre Abwesenheit rechtzeitig dem Gericht mitteilen und haben dessen Entscheidung abzuwarten, dürfen also nicht einfach fernbleiben.
In der Praxis ist es üblich, dass im Anschluss sämtliche Zeugen und Sachverständige gemeinsam über ihre Rechte und Pflichten belehrt werden. Nur in größeren Verfahren werden Zeugen einzeln über das Verfahren verteilt belehrt. Zur Belehrung gehören (u.a.) folgende Aspekte: Das Zeugnis, also Ihre Aussage, dürfen Sie grundsätzlich nicht verweigern, weshalb Sie vor Gericht aussagen müssen. Nur ausnahmsweise müssen Sie nicht aussagen, wenn Sie mit dem Angeklagten enger verwandt sind (insbesondere Verlöbnis, Ehe- bzw. Lebenspartnerschaft und Verwandtschaft in gerader Linie) oder etwa aufgrund Ihres Berufes (z.B. Seelsorger, Geistliche, Strafverteidiger, Ärzte) zur Geheimniswahrung berechtigt sind. Sagen Sie aber trotz Ihres vorhandenen Zeugnisverweigerungsrechtes aus, was Ihnen freisteht, so dürfen Sie trotzdem nicht die Unwahrheit sagen, da es sein kann, dass Sie sich andernfalls strafbar machen. Sie werden auch über die Möglichkeit eines Eides und die Folgen eines Meineides - so wird eine falsche Aussage unter Eid genannt - belehrt. Im Anschluss an die Belehrung verlassen die Zeugen und Sachverständigen den Saal und die Verhandlung wird zunächst ohne sie fortgeführt. Das hängt damit zusammen, dass die jeweilige Aussage- bzw. Gutachtenerstattung nicht von den Aussagen der anderen Beteiligten beeinflusst werden soll. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Sie als Nebenkläger auftreten. In dem Fall steht Ihnen auch dann, wenn Sie als Zeuge vernommen werden sollen, ein Anwesenheitsrecht zu und Sie müssen den Saal nicht verlassen.
Der Staatsanwalt verliest danach die Anklageschrift. In der Anklageschrift ist der Täter und das ihm zu Last gelegte Verhalten näher beschrieben sowie zudem angegeben, wegen welcher Strafnormen dieses Verhalten nach Ansicht der Staatsanwaltschaft strafbar ist. Der Vorsitzende - das ist derjenige Richter, der im Falle mehrerer Richter die Verhandlungen leitet - teilt sodann mit, ob es Gespräche über Verständigungen (einen „Deal“) gegeben hat. Verständigungen sind während der gesamten Hauptverhandlung möglich, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Häufig ist der Fall, dass der Angeklagte die Tat gesteht und im Gegenzug eine Milderung im Strafmaß erhält.
Nunmehr ist der Angeklagte darüber zu belehren, dass es ihm frei steht zur Sache auszusagen oder zu schweigen. Er kann sich zur Sache einlassen, muss sich aber nicht zum Tatvorwurf äußern. Wenn er sich zur Sache einlässt, so kann das, was er aussagt, in der richterlichen Entscheidungsfindung mitberücksichtigt werden. Anders als ein Zeuge oder Verteidiger kann der Angeklagte in gewissen Grenzen zu seiner eigenen Verteidigung sanktionslos lügen, das heißt bewusst die Unwahrheit sagen, ohne dass dies geahndet werden kann. Er hat zwar kein von der Rechtsordnung explizit zugesichertes Recht zur Lüge, aber eine Falschaussage ist für ihn selbst in weiten Teilen nicht strafbewehrt.
Den größten Teil der Hauptverhandlung macht die Beweisaufnahme aus.
In der Beweisaufnahme werden sämtliche Beweismittel, die die Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelt hat, nacheinander in das Verfahren eingebracht. Der Angeklagte soll sich nach jeder einzelnen Beweiserhebung zu dieser äußern können. Davon muss er keinen Gebrauch machen.
Bei den Beweismitteln kann es sich um Urkunden, Augenscheinobjekte (wie die Tatwaffe oder sonstige gesicherte Spuren), Zeugen- oder Sachverständigenaussagen handeln. Urkunden sind dabei zu verlesen. Mit Blick auf vorangegangene Vernehmungsprotokolle genügt es regelmäßig nicht, dass auf sie bloß Bezug genommen wird oder diese nur verlesen werden, sondern die Beweise müssen möglichst unmittelbar zum Gegenstand der Verhandlung gemacht werden, damit die Richter auf dieser unvermittelten Grundlage ihre Überzeugung über die Tat bilden können. Deshalb müssen Sie als Zeuge auch dann (erneut) aussagen, wenn Sie nicht mehr und anderes aussagen können als sie schon in einer früheren Vernehmung gesagt haben, selbst wenn es zur früheren Vernehmung ein umfangreiches Protokoll gibt. Das mag Ihnen seltsam erscheinen, ist aber keine Schikane, sondern gesetzlich so vorgeschrieben.
Für die Beweisaufnahme werden Sie erneut über einen Aufruf in den Saal gebeten. Sind Sie (zugleich) Nebenkläger befinden Sie sich bereits im Saal und wechseln nur den Sitzplatz. Üblicherweise sollen Sie dann Ihre Erinnerung von der Tat zusammenhängend und möglichst vollständig vortragen. Wenn Sie sich aber an Einzelheiten nicht mehr erinnern, dürfen Sie nichts hinzuerfinden, sondern sollten sich nicht scheuen auf Lücken in Ihrer Erinnerung hinzuweisen. Umgekehrt sollten Sie keine Einzelheiten auslassen. Es ist dabei verständlich und allen Beteiligten bekannt, dass die Erinnerung nach längerer Zeit verblasst - niemand wird Ihnen das zum Vorwurf machen. In einigen Fällen kann es sein, dass für Ihre Aussage ein Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt wird und ein Gutachter (je nach Konstellation ein Psychiater oder ein Psychologe) Ihre Aussage dahingehend beurteilt, ob sie aller Voraussicht nach auf tatsächlich Erlebtem basiert. Das hängt nicht damit zusammen, dass man Sie der Lüge bezichtigt, sondern ist in einigen beweisrechtlich schwierigen Konstellationen übliche Verfahrenspraxis, mit der die Beweiszuverlässigkeit verfahrensmäßig abgesichert werden soll. Ein Gutachten kann etwa dann angeordnet werden, wenn Sie psychisch erkrankt sind, wenn es im Prozess Aussage gegen Aussage steht und keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, oder aber die konkrete Aussage verworren, widersprüchlich oder in sonstiger Weise gesteigert fehleranfällig erscheint. Mehr zur Glaubhaftigkeitsbegutachtung erfahren Sie hier.
Die anderen Verfahrensbeteiligten (die Richter, der Staatsanwalt, der ggf. vorhandene Verteidiger, aber auch der Angeklagte selbst) dürfen Ihnen zu Ihrer Aussage nacheinander Fragen stellen und Ihnen auch Vorhaltungen aus vergangenen Vernehmungsprotokollen machen, um Ihre Erinnerung zu stützen oder Widersprüche aufzuzeigen. Dabei kann es auch vorkommen, dass sehr kritische Fragen an Sie gerichtet werden und Ihre Aussage stark in Zweifel gezogen wird. Dies kann unter Umständen auch eine zielgerichtete Verteidigungsstrategie des Angeklagten selbst oder der Verteidigung darstellen. Die Strafprozessordnung erlaubt kritische und auch provokante Fragen, wenn sie nicht in eine unsachliche, aufrührerische und beleidigende Richtung führen, aufgrund derer sie keinen Sachbeitrag zur Entscheidungsfindung mehr zu leisten vermögen. Haben Sie Zweifel daran, ob sich ein Verfahrensbeteiligter noch im Rahmen seiner Rechte bewegt, können Sie dies offen ansprechen. Das Gericht, das auch zu Ihrem Schutz verpflichtet ist, wird sich dann dazu äußern. In vielen Fällen wird das Gericht bereits von sich aus aktiv werden, wenn ein Verhalten zu weit geht.
Sind Sie mit Ihrer Aussage fertig und ist - was in längeren Verfahren manchmal vorkommen kann - nicht geplant, dass Sie erneut aussagen sollen, so werden Sie als Zeuge entlassen und können dem weiteren Verfahren als Besucher im Besucherbereich beiwohnen, wenn Sie das möchten.
Sind alle Beweise erhoben schließen an die Beweisaufnahme die Abschlussplädoyers an. In ihnen kann der Staatsanwalt, ein etwaiger Nebenklagevertreter sowie ein etwaiger Verteidiger seine Sicht des Sachverhalts, der Beweisaufnahme und der Rechtslage noch einmal schildern sowie sich schließlich für eine Verurteilung mit einem bestimmten Strafmaß bzw. einen Freispruch aussprechen. Dabei können die Plädoyers der Verfahrensbeteiligten sich annähernd decken, oder aber - wie regelmäßig - auseinanderfallen.
Anschließend ziehen sich die Richter zur Beratung über die Strafbarkeit und ggf. das Strafmaß zurück, indem sie den Sitzungssaal verlassen und in einen anderen Raum gehen. Die Beratung findet dabei geheim statt und die Entscheidung der einzelnen Richter für oder gegen eine Bestrafung bleibt selbst nach der Urteilsverkündung geheim. Das ist das sogenannte Beratungsgeheimnis. Die Richter entscheiden nicht einstimmig, sondern nach Stimmenmehrheit, wobei Schöffen grundsätzlich gleiches Stimmgewicht wie Berufsrichter haben. Je nachdem, wie kontrovers der zugrunde liegende Fall unter den Richtern diskutiert wird, kann die Beratung einige Zeit lang dauern.
Im Anschluss kehren die Richter zurück in den Sitzungssaal und verkünden das Urteil „im Namen des Volkes“. Im Urteil können verschiedene Sanktionen verhängt werden. Neben der Freiheitsstrafe (Entzug der Freiheit) kann eine Geldstrafe (Zahlung eines bestimmten Geldbetrags) oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (Der Täter wird verwarnt, muss aber eine Geldstrafe zahlen, wenn er erneut straffällig wird) verhängt werden. Die Freiheitsstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt sein, also erst für den Fall greifen, dass der Täter innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erneut straffällig wird.
Gegen das Urteil sind vonseiten der Staatsanwaltschaft, aber auch des Angeklagten bzw. dessen Verteidiger befristete Rechtsmittel (Berufung und Revision) möglich. Daneben kann der Nebenkläger nur gegen ein freisprechendes Urteil Rechtsmittel einlegen. Gegen ein Urteil des Amtsgerichts kann Berufung eingelegt werden. Im Rahmen der Berufung wird das Verfahren noch einmal neu aufgerollt und es findet eine erneute Beweiserhebung und Richterentscheidung statt. Sollte es zur Berufung kommen, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie in höherer Instanz noch einmal aussagen müssen.
Gegen Urteile des Landgerichts ist dagegen nur die Revision möglich. Anders als bei der Berufung erfolgt bei der Revision keine Beweiserhebung mehr, sondern es erfolgt lediglich eine Kontrolle des Urteils auf Rechtsfehler. In diesem Fall müssen Sie nur dann erneut aussagen, wenn das Ausgangsgericht noch einmal zu einer (ordnungsgemäßen) Beweisaufnahme verpflichtet wird.
An einer Hauptverhandlung müssen folgende Verfahrensbeteiligte teilnehmen:
Je nachdem, wie schwer die in Rede stehende Tat ist, handelt es sich dabei um einen Einzelrichter/eine Einzelrichterin oder aber um mehrere RichterInnen, von denen einige auch Schöffen sein können. Schöffen sind nicht juristisch vorgebildete BürgerInnen, die ihren bürgerlichen Erfahrungsschatz mit in den Prozess einbringen sollen. Sie sind nicht mit Geschworenen zu verwechseln, die Sie eventuell aus dem Fernsehen kennen. An jedem Verfahren nimmt nämlich stets mindestens ein Richter/eine Richterin mit Entscheidungsbefugnis teil, der/die das juristische Studium durchlaufen hat.
Die Staatsanwaltschaft vertritt in der Hauptverhandlung die Anklage gegen den Täter/die Täterin. Auch diese muss zwingend zugegen sein, damit diese von ihren vielfältigen Frage- und Beteiligungsrechten effektiv Gebrauch machen und nachher im Eindruck dessen auf eine bestimmte richterliche Entscheidung bzw. ein bestimmtes Strafmaß plädieren kann.
Der Angeklagte/die Angeklagte hat grundsätzlich das Recht und sogar die Pflicht anwesend zu sein. Er/Sie soll sich vor allem zum Tatvorwurf und zu dem in der Verhandlung Gesagten äußern können. Er/Sie ist aber auch deshalb zur Anwesenheit verpflichtet, um dem Gericht einen möglichst unvermittelten Eindruck vom Täter/von der Täterin zu verschaffen. Es existieren allerdings einige Durchbrechungen dieses Grundsatzes, die vor allem dem Schutz gefährdeter ZeugInnen dienen.
Ein Verteidiger, der den Angeklagten/die Angeklagte rechtlich berät und innerhalb und außerhalb der Verhandlung vertritt, muss immer dann anwesend sein, wenn die Verhandlung nicht vor dem Amtsgericht, sondern einem höheren Gericht (Landgericht, Oberlandesgericht, Bundesgerichtshof) stattfindet. Die maximale Anzahl an StrafverteidigerInnen beträgt nach der Strafprozessordnung 3.
Gibt es für die Tat ZeugInnen oder ist die Expertise von besonders sachkundigen Personen erforderlich, so werden Zeugen zwecks Aussage bzw. Sachverständige zwecks Gutachtenerstattung geladen. Sind Sie in eigener Person von der Tat betroffen, werden Sie regelmäßig als ZeugIn geladen werden.
Als Verletzter können Sie sich der Anklage als sog. Nebenkläger anschließen, sodass Sie eine von der Zeugenstellung verselbständigte prozessuale Rolle neben dieser einnehmen, die Ihnen zusätzliche Rechte im Verfahren verschafft. Mehr Informationen erhalten Sie hier. Der Nebenkläger kann zudem einen Rechtsbeistand haben.
Zur Reduzierung der Belastungen im Strafverfahren können Sie vor, während und nach dem Verfahren von einer psychosozialen Prozessbegleitung beraten, betreut und unterstützt werden. Mehr Informationen hierzu finden Sie hier.
Daneben können Personen anwesend sein, die nicht in einem engeren Sinne am Verfahren beteiligt sind. Regelmäßig ist etwa ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle anwesend, der einige Eckpunkte der Verhandlung in einem Protokoll förmlich festhält. Weiter können Sie etwa beantragen, dass das Gericht einer Person Ihres Vertrauens (z.B. einem Angehörigen) die Anwesenheit in der Verhandlung abseits des Besucherraumes gestattet.
Wichtig zu beachten ist, dass innerhalb von Hauptverhandlungen im Erwachsenenstrafrecht in der Regel Besucher zugelassen sind. Nur in Ausnahmefällen kann die Öffentlichkeit auf Antrag ausgeschlossen werden.
Gelegentlich kann es darüber hinaus vorkommen, dass ein Dolmetscher oder Gebärdensprachendolmetscher zugegen ist, wenn ein Verfahrensbeteiligter der deutschen oder gesprochenen Sprache nicht mächtig ist.