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Primäre Viktimisierung

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Primäre Viktimisierung

Menschen mit einer psychischen Erkrankung als Opfer von Gewalt.

Neben anderen vulnerablen Gesellschaftsgruppen wie Kindern, Frauen, ethnischen Minderheiten oder Menschen ohne festen Wohnsitz gehören auch Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung zu jenen, die sich einem erhöhten Risiko ausgesetzt sehen, zu Opfern von Verbrechen zu werden. Hierzu stieg in den letzten Jahren die Anzahl der durchgeführten Studien stark an, was die Wichtigkeit dieses Themas unterstreicht. Internationale Studienergebnisse aus den verschiedensten Ländern zeigen, dass Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung, meist bezeichnet mit dem Begriff severe mental illness, kurz SMI, ein statistisch signifikant höheres Risiko aufweisen, Opfer von Gewalt zu werden.

In den u.a. Studien werden zahlreiche verschiedene Faktoren dafür verantwortlich gemacht, dass Personen mit psychischer Erkrankung einem höheren Risiko unterliegen, Opfer einer Straftat zu werden. Einige psychische Erkrankungen bringen eine fehlende oder verminderte Sozialkompetenz mit sich, was die soziale Interaktion innerhalb der Gesellschaft für diese Personen erschweren kann. Außerdem kann es für Personen mit schweren psychischen Erkrankungen schwerer oder sogar unmöglich sein, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das Leben in sozial-schwachen Milieus, das Erleiden von finanziellen Notlagen bis hin zur Arbeitslosigkeit und im schlimmsten Falle auch Obdachlosigkeit verstärken das Risiko, Opfer von Gewalt zu werden. Daneben zeigen Forschungsergebnisse, dass auch das Leben in einer Wohngemeinschaft sowie das Unverheiratet-sein Risikofaktoren für eine Viktimisierung sein können. Grundsätzlich sind diese genannten Faktoren auch für Personen ohne psychische Erkrankung Risikofaktoren, jedoch können diese durch schwere psychische Erkrankungen bedingt oder verstärkt werden.

Die Stigmatisierung, welche viele Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung erleben müssen, kann darüber hinaus zu Ausnutzung und sozialer Ausgrenzung führen. Oftmals treffen auf eine Person zudem mehrere der genannten Faktoren zu. Damit lassen sich jedoch noch nicht die unterschiedlichen Risikoraten der einzelnen Krankheitsbilder erklären.

Eine mögliche Begleiterscheinung einiger psychischer Erkrankungen ist eine verstärkte Sorglosigkeit, die teils auch durch Medikation hervorgerufen wird und dazu führt, dass die Personen sich weniger aufmerksam selbst schützen und unvorsichtiger verhalten. Vulnerable Personen, die leicht angreifbar wirken, werden schneller zum Ziel von Straftäterinnen/Straftätern, als Menschen, die sich in Sicherheit wiegen und weniger Angst vor Verfolgung haben. Hinzu kommt, dass einige psychische Erkrankungen, beispielsweise mit psychotischer Symptomatik, zu einem auffälligen Störungsbild führen können, das auf Außenstehende provokant wirkt und gewalttätige Konflikte begünstigen kann. 

Das Ereignis, Opfer einer Straftat zu werden, wird nach ICD-10 als interpersonelle Traumatisierung eingestuft. Der ICD-10 ist das zur Klassifizierung von Krankheiten verwendete System der WHO. Personen mit schweren psychischen Erkrankungen haben ein erhöhtes Risiko, nach dieser interpersonellen Traumatisierung eine Traumafolgestörung bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung zu entwickeln. Jeder Opferwerdung wohnt potentiell die Gefahr inne, sich negativ auf die psychische Gesundheit und den Behandlungsverlauf der psychischen Erkrankung der/des Betroffenen auszuwirken. Besonders erlebte Gewaltereignisse haben einen großen Einfluss auf den weiteren Krankheitsverlauf der betroffenen Personen und können eine Verstärkung der Symptome, eine Verschlechterung der Lebensqualität und eine vermehrte Inanspruchnahme von psychiatrischen Hilfseinrichtungen hervorrufen. Eine verstärkte psychische Belastung kann wiederum das Risiko erhöhen, erneut Opfer einer Straftat zu werden. 

Um nicht in einer Abwärtsspirale der psychischen Belastungen gefangen zu sein, können Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung besonders unterstützungsbedürftig sein, sollten sie Opfer einer Straftat werden.

 

 

Quellen:

  • Pettitt/Greenhead/Khalifeh et al., At risk, yet dismissed. The criminal victimisation of people with mental health problems. London: Victim Support, 2013, S. 3.
  • Teplin/McClelland/Abram et al., Arch Gen Psychiatry 2005, 911, 917.
  • Goodman/Salyers/Mueser et al., Journal of Traumatic Stress 2001, 615, 627.
  • Crump/K. Sundquist/Winkleby/J. Sundquist, BMJ 2013, 1, 3.
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