Gegenwärtig erleben sowohl Nord- als auch Lateinamerika umfassende Umwälzungen von potentiell globaler Reichweite. Die Transformationsprozesse betreffen vielfältige Mensch-Umwelt-Interaktionen. Mit ‚shifting worlds‘ sind natürliche wie auch politische und soziale Umwelten gemeint, die untrennbar miteinander verbunden sind. Sie rufen in Zeiten weitreichender Krisen und fundamentaler Umbrüche vielfältige Heuristiken und Praktiken des „(Über-)Lebens“ in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten hervor.
Der Fokusbereich zielt auf die Neuerforschung der Krisen und Umbruchprozesse in den Amerikas in ihrer Beziehung zur globalen Welt ab. In den Amerikas können – wie in einer Art Labor - extreme Spannbreiten an sich transformierenden Konfliktlagen, Formen kultureller und ökologischer Diversität, politischen Machtkonstellationen und das Aufeinandertreffen heterogener Epistemologien zwischen Globalem Norden und Süden erforscht werden. Untersucht werden diese Prozesse sowohl in ihren Wirkungen (‚sich verändernde Welten‘) als auch hinsichtlich der beteiligten Akteure (‚Welten verändern‘), in der Gegenwart und in historischen Zusammenhängen.
Der Innovationscharakter des Fokusbereiches ergibt sich aus der konzeptuellen Erweiterung des etablierten Bielefelder Verflechtungsansatzes um die Perspektive der Entflechtung von Praktiken, Akteuren und Epistemologien. Die konzeptuelle Erweiterung erlaubt auf der forschungsorganisatorischen Ebene eine breitere interdisziplinäre Öffnung der Geistes- und Sozialwissenschaften hin zu den Wirtschafts- und Naturwissenschaften; inhaltlich erlaubt sie einen gezielten Zugriff auf den Fokus der ‚Shifting Worlds‘, der über drei miteinander verschränkte Forschungsachsen operationalisiert wird.
In der ersten Forschungsachse zu Planetary Care wird die bestehende Expertise zum Anthropozän um einen breit gefassten Care-Begriff ergänzt. Die Frage nach dem „guten (Über-)Leben“ wird hier vor allem in Bezug auf Gefährdungen des Planeten behandelt. Herausforderung ist, das Planetare und die Weltregion der Amerikas – nicht zuletzt in historischer Dimension – zusammenzudenken. Neben Fragen der Resilienz gegenüber Krisen- und Katastrophensituationen wird in dieser Achse auch die Sorge um Bio- und Chemodiversität in der Biosphäre adressiert, sowie nach volkswirtschaftlichen Beiträgen im Umgang mit ökologischen Krisen gefragt.
Während unter dem Fokus der Planetary Care Prozesse der (Wieder-)Herstellung des Gleichgewichts in der Interaktion des Menschen mit natürlichen Umwelten untersucht werden, behandelt die zweite Achse Disembedding Power, disruptive Veränderungen von Konstellationen, die Fragen der (De-)Legitimation, Durchsetzung und Ablösung politischer, rechtlicher, ökonomischer und technischer Macht umfassen. Gerade in fundamentalen Umbruchsituationen setzen vielfältige tiefgreifende, aber auch gegenläufige Dynamiken der Ent- und Verflechtung ein, die auch die den gesellschaftlichen Beziehungen zugrundeliegenden materiellen Dimensionen erfassen. Der Schwerpunkt auf Machtbeziehungen verbindet hierbei konkrete Praktiken und aktuelle politische Konjunkturen mit langfristigen Hegemonieprozessen und demokratischen Dynamiken, die das Zusammenleben unter den Bedingungen geopolitischer Umbrüche betreffen.
Sowohl Planetary Care als auch Disembedding Power befassen sich mit distinkten Prozessen, die aktiv oder passiv zu ‚Shifting Worlds‘ beitragen. Der Fokus der dritten Forschungsachse zu Contested Collectives liegt hingegen auf der systematischen Befragung bestehender und sich herausbildender Epistemologien und Heuristiken der Welterschließung; die Forschungsachse eröffnet so den gezielten Austausch von empirischer Forschung und theoretischer Reflexion. Sie befasst sich mit Fragen, die das Neudenken verschiedener Akteurskonstellationen und Formen des Zusammenlebens bzw. der Gemeinschaftsbildung im Umgang mit Krisen- und Umbruchsituationen betreffen. Adressiert werden hier neben unterschiedlichen Kosmovisionen (des Globalen Südens und Nordens), Konzepten der Konvivenz menschlicher und nicht-menschlicher Akteure und Beschreibungsmodellen der migration studies auch umfassendere Veränderungen historischer Wissensordnungen.