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Bin ich noch eine Person, wenn ich vergesse?

Ein Kommentar von Laura Käppele

Eine Hand liegt fürsorglich auf den Händen einer älteren Person.
Foto: Sabine van Erp / Pixabay

Früher war Gertrud F., 89, eine extrovertierte Person, die es liebte, den Tag über die Kund*innen in ihrem Laden mit Geschichten zu unterhalten und abends das Leben jeder Party zu sein. Heute verlässt sie nur ungern ihr Zimmer im Pflegeheim. Aufgrund ihrer fortgeschrittenen Demenz nimmt sie selbst kaum noch Kontakt zu anderen Menschen auf und auf Ansprache erhält man keine kohärente Antwort.

Fälle wie dieser sind kein Einzelfall. Wie im Deutschlandfunk berichtet wurde, weist in der Gruppe der über 80-Jährigen etwa jede*r Dritte kognitive Defizite auf, welche sich in Richtung einer Demenz entwickeln können. Gerade in deren späten Phasen, wenn die Persönlichkeit des Menschen komplett verschwunden ist, ist es für Angehörige oft schwer, den Menschen mit demjenigen in Verbindung zu bringen, den sie aus früheren Zeiten kennen. Noch schwerer kann es dann sein, zu hören, der oder die geliebte Angehörige sei keine Person mehr, wie es etwa die Philosophen Peter Singer und Jeff McMahan behaupten. Die Reaktionen darauf sind oft eher ablehnend, sie verkennen aber meist eine wichtige Unterscheidung.

Menschsein und Personsein

Umgangssprachlich werden Menschsein und Personsein meist gleichgesetzt. Wird also von Philosoph*innen darüber geredet, dass ein schwer dementer Mensch keine Person mehr sei, so können Angehörige dabei verstehen, dass hier die Menschenwürde der Eltern, Großeltern oder sonstigen Verwandten in Frage gestellt wird. Tatsächlich ist mit Personsein in der philosophischen Debatte aber ein ganz bestimmtes Konzept gemeint, und das Absprechen desselben ist manchmal nötig, um einen ethischen Konflikt aufzuheben.

Sprechen Philosoph*innen von einer Person, so meinen sie damit jemanden, der oder die einige zentralen Eigenschaften besitzt. Dazu gehören Rationalität, Selbstbewusstsein, Wissen um die eigene Existenz und ähnliches. Diese Eigenschaften sorgen dafür, dass wir etwa in der Lage sind, komplexe Gesellschaften mit Rechtssystemen zu bilden. Sie ermöglichen es uns auch, autonome Entscheidungen zu treffen.

Autonomie als Fähigkeit

Sprechen wir von Autonomie, so denken wir darüber meist als Recht. Wir Menschen haben das Recht, autonom über unser Leben zu entscheiden. Gerade wenn es um medizinische Entscheidungen geht, ist vielen dieses Recht besonders wichtig, was auch darin widergespiegelt ist, dass das Selbstbestimmungsrecht im Gesetz vor dem Wohl der Patient*innen steht, wie das Ärzteblatt berichtete.

Autonomie ist jedoch auch eine Fähigkeit, welche wir in unterschiedlich hohem Maße besitzen können. Da eine Person, mit den eben erwähnten Eigenschaften automatisch die Fähigkeit zur Autonomie besitzt, denken wir oft nicht wirklich darüber nach, aber es gibt auch Menschen, die diese Fähigkeit nicht oder nicht mehr besitzen. Dazu gehören etwa kleine Kinder, aber eben auch Menschen, welche bereits schwer an Demenz erkrankt sind. Diese sind nicht mehr in der Lage, autonom wichtige Entscheidungen zu treffen, da sie nicht alle Konsequenzen überblicken können. Gertrud F. würde vielleicht einen medizinischen Eingriff ablehnen, welcher ihre akuten Schmerzen lindern würde, weil sie die Zusammenhänge nicht mehr verstehen könnte und lieber den Kontakt zu den Ärzt*innen meiden würde.

In Würde leben, trotz Demenz

Die Trennung von Menschsein und Personsein in der Philosophie hat den Vorteil, dass die Fähigkeit eines Menschen präzise reflektiert werden kann, ohne ihm dabei seine Rechte auf Menschenwürde zu nehmen. Denn die Würde ist, im Gegensatz zur Autonomie, nicht an gewisse Fähigkeiten geknüpft und darf unter keinen Umständen missachtet werden.

Im Fall von Gertrud F. bedeutet dies, dass in der täglichen Pflege versucht wird, den Wünschen zu entsprechen, die sie vielleicht nur noch nonverbal äußern kann, so dass sie sich wohl fühlt. Geht es jedoch um schwerwiegende Entscheidungen, etwa in Bezug auf einen medizinischen Eingriff, welcher die Lebensqualität verbessern könnte, so liegt diese Entscheidung im späten Stadium der Demenz entweder bei einer von ihr zuvor festgelegten Person, die als Vorsorgebevollmächtigte*r fungiert, oder bei einem vom Gericht entschiedenen gesetzlichen Betreuer. Somit werden zwar Entscheidungen für sie getroffen, aber immer so, dass ihre Würde weiter gewahrt bleibt.

Quellen

Breuer, I. (29.01.2015) „Die Krankheit als ethische Herausforderung“, Deutschlandfunk.  https://www.deutschlandfunk.de/demenz-die-krankheit-als-ethische-herausforderung-100.html

Magnus, D. (2012) „Recht: Fürsorge oder Selbstbestimmung“. Deutsches Ärzteblatt. https://www.aerzteblatt.de/archiv/125519/Recht-Fuersorge-oder-Selbstbestimmung

Quante, M. (2011) Person. Berlin: De Gruyter.


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