Jenseits von rassischer Diskriminierung: „Backwardness“ und „Indigenous Peoples“
Internationale Menschenrechte versprechen Gleichheit vor dem Gesetz und den gleichen Schutz durch das Gesetz. Menschenrechte, die speziell gegen die Vorstellung von rassischen Hierarchien vorgehen, verbieten eine Ungleichbehandlung, die sich auf bestimmte Merkmale stützt (Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationale oder ethnische Herkunft) und die dazu führt, dass die Betroffenen ihre Rechte nicht auf gleiche Weise ausüben können. Freilich, Menschenrechte enthalten nicht nur das Versprechen gleicher Rechte. Menschenrechte erlauben auch „besondere Maßnahmen“, also Maßnahmen, die darauf zielen, rassisch oder ethnisch definierte Menschengruppen „voranzubringen“, ein politisches Ziel, das sichtlich voraussetzt, dass die Betroffenen irgendwie zurückgeblieben sind. Historisch betrifft dies etwa die lokalen Bevölkerungen in nicht-europäischen Gebieten im Gegensatz zu den ,zivilisierten‘ Europäern oder den ,zivilisierteren‘ Teilen der lokalen Bevölkerung. Und in der jüngeren Vergangenheit sind Menschenrechte im Entstehen, die die Identität und die Lebensstile von Menschen gerade schützen und erhalten wollen, die als „indigen“ beschrieben und von europäischen Einwanderergruppen und deren Nachkommen abgegrenzt werden.
Unser Projekt behandelt die nicht ganz spannungsfreien Gleichheitskonzepte, die diesen Normen zugrundeliegen und die sich offensichtlich auf Vergleichspraktiken stützen: Gestützt auf welche (routinisierte) Vergleichspraktiken gelangten Normsetzer zur Überzeugung, dass bestimmte Gruppen zurückgeblieben seien und vorwärtsgebracht werden müssten, und was bedeutete dieser Prozess? Gestützt auf welche Vergleichspraktiken wurde die Idee des Zurückgebliebenseins aufgegeben zugunsten der Idee, dass die Diversität der Menschheit zu schützen und zu achten sei? Und wie bringen wir das Zulassen von besonderen Rechten (mit dem Ziel des Vorwärtsbringens oder der Förderung von Diversität) in Einklang mit der Vorstellung vom Haben gleicher Rechte?
Mit unseren Forschungen wollen wir aufzeigen, welche Vergleichspraktiken (mit rechtlichen Folgen) zum Entstehen und zum Verschwinden von Personenkategorien beigetragen haben. Hier spielen, so denken wir, empörende Vergleiche eine große Rolle (Kooperation mit Willibald Steinmetz, E01). Wir wollen außerdem einen Beitrag zur Gleichheitsdogmatik leisten, der das rechtliche Versprechen von gleichen Rechten mit dem Versprechen von besonderen Rechten verbindet.
Im Dezember 1965 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Text einer Konvention gegen rassische Diskriminierung (International Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination). Am Höhepunkt der Dekolonisierung formulierte die Konvention einen globalen menschenrechtlichen Standard, der – so die These – Vergleichspraktiken einer europäisch geprägten Moderne auf den Prüfstand stellt. Wir nehmen an, dass die von der Konvention verpönte rassische Diskriminierung eingebettet ist in Praktiken des Vergleichens, insbesondere in Praktiken, die Unterschiede markieren und mit einer Wertung versehen. Deshalb fragen wir: Waren die rechtspolitischen Auseinandersetzungen, die dem Rechtsetzungsverfahren vorangingen, in besonderem Maß vergleichskritisch?
Wir nehmen weiter an, dass die Konvention gerade auch bestimmte Vergleichspraktiken unterbinden möchte. Dies müsste sich vor allem im Begriff der rassischen Diskriminierung niederschlagen. Deshalb fragen wir weiter: Welche Vergleichspraktiken werden delegitimiert, wenn ‚rassische Diskriminierung‘ verboten wird?
Drittens interessiert uns: Wie geht das von der Konvention eingerichtete Kontrollorgan vor, wenn es konkrete Praktiken vor Ort als rassische Diskriminierung einstuft? Wir vermuten, dass das Kontrollorgan, wenn es rassische Diskriminierung identifizieren will, selbst auf Vergleichspraktiken zurückgreift und im Zuge der Rechtsanwendung auch zurückgreifen muss.
So kommen im Teilprojekt jedenfalls zweierlei Vergleichspraktiken in den Blick: Vergleichspraktiken, die nicht sein sollen, und Vergleichspraktiken, die notwendig sind, um verpönte Praktiken zu identifizieren. Die erstgenannten machen wir rechtsdogmatisch fruchtbar, die zweitgenannten rechtstheoretisch. In rechtshistorischer Perspektive erzählt das Teilprojekt vom Aufstieg eines vergleichskritischen Werts, der – einzigartig – koloniale Erfahrungen mit der Idee der Menschenrechte verbindet.