Auf dieser Seite befinden sich Informationen zum Thema Prüfungsunfähigkeit.
Der Text gliedert sich in eine Darstellung der Thematik "Krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit" und erläutert das "Verfahren", wie eine Prüfungsunfähigkeit angezeigt wird.
"Im Prüfungsverfahren geht es darum, die wahren Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings möglichst genau zu ermitteln, um so die Grundlage für eine zutreffende Bewertung zu schaffen." (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage, Rdnr. 127.) Ausgangspunkt ist also die persönliche Leistungsfähigkeit eines Prüflings. Bei der Abnahme von Prüfungen ist zudem der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Bezogen auf eine einzelne Prüfung bedeutet dies, dass alle Studierenden gleiche Anforderungen erfüllen und gleiche Prüfungsbedingungen vorfinden müssen. Eine Ausnahme hiervon gilt, wenn im Prüfungsverfahren ein wichtiger Grund eintritt bzw. vorliegt, der es erschwert oder unmöglich macht, das Prüfungsverfahren in der üblichen Form durchzuführen. In diesem Sinne sehen die Prüfungsordnungen regelmäßig vor, dass ein Prüfling von einer Prüfung zurücktreten kann oder die Bearbeitungszeit für eine Hausarbeit oder andere schriftliche häusliche Prüfungsleistung ("alles, was keine Klausuren sind") verlängert wird, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Als wichtiger Grund kommen – neben anderen wichtigen Gründen – insbesondere Krankheit bzw. Erkrankungen in Betracht, die zu einer Prüfungsunfähigkeit führen.
Ob eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die auf das Vorliegen einer Krankheit im medizinischen Sinne und auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung sowie auf den Zusammenhang zur konkreten Prüfung abstellt. Beeinträchtigungen, die dauerhaft die persönliche Leistungsfähigkeit prägen, können zwar eine Krankheit sein, es liegt aber keine Prüfungsunfähigkeit vor, weil sie eigenschaftsprägend sind und die wahren Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings bestimmen. Nur wenn die persönliche Leistungsfähigkeit - das "normale" Leistungsbild - krankheitsbedingt aktuell erheblich beeinträchtigt ist, kommt überhaupt eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit in Betracht.
Der Begriff "Krankheit" oder "Erkrankung" ist nicht gesetzlich definiert. Er ist von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung entwickelt worden als "regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat" (BSGE 35, S. 10, 12 f.). Unter einer chronischen Erkrankung versteht man im Allgemeinen eine länger andauernde, schwer heilbare Krankheit. Ärzt*innen verwenden für die Diagnose von Erkrankungen Klassifizierungen aus dem von der WHO herausgegebenen Handbuch "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD)". Gültig ist aktuell die Version ICD-11 aus dem Jahre 2022.
Prüfungsrechtlich relevant sind bei der Prüfungsunfähigkeit nur Gründe, die im Prüfling selbst wurzeln. Gründe, die nicht in der Person des Prüflings angelegt sind (z.B. eine Erkrankung eines nahen Angehörigen), können aber dann zu einer Prüfungsunfähigkeit des Prüflings führen, wenn diese*r selbst dadurch so beeinträchtigt wird, dass in der Prüfung nicht die sonst übliche Leistung abgerufen werden kann: Die Erkrankung eines Angehörigen kann zu einer Störung des körperlichen Wohlbefindens des Prüflings mit Krankheitswert führen, so dass auch diese vom Prüfling vorgebracht werden kann (Vgl. z.B. BayVerfGH, Entsch. v. 7.2.2012, Vf. 112-VI-10, - juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.12.2009, 10 N 57.08 – juris).
Hinweis: Allerdings kann die Erkrankung eines nahen Angehörigen, des eigenen Kindes etc. je nach Konstellation einen eigenes "wichtigen Grund" im Sinne der Prüfungsordnung begründen, der zu gewissen Maßnahmen berechtigt (Fristverlängerung, Rücktritt etc.).
Keine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Prüfling sich nicht in Top-Form fühlt (es werden sich nie alle Prüflinge gleich fit fühlen). Auch Erkrankungen, die keine erheblichen Leistungsausfälle verursachen (z.B. ein leichter Schnupfen) oder die durch Medikamente behoben werden können (z.B. Stoffwechselstörungen/Diabetes oder niedriger/hoher Blutdruck) dürfen grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (VG Düsseldorf, Urteil vom 16.6.2010, 15 K 1414/10; juris; Rdnr. 62 zu diabetes mellitus). Dies bedeutet, dass eine gewisse Schwelle des Unwohlseins überschritten sein muss, um eine Erkrankung und damit in Folge eine Prüfungsunfähigkeit annehmen zu können.
Bezug zur Prüfungsform: Prüfungsunfähigkeit kann auch bei festgestellter Erkrankung nur dann bejaht werden, wenn die Erkrankung in Bezug auf die Prüfungsform relevant ist. Eine gebrochene Hand hindert den Prüfling nicht zwingend an der Teilnahme an einer mündlichen Prüfung; eine Knieverletzung ist grundsätzlich kein Rücktrittsgrund für die Teilnahme an einer Klausur.
In den nachfolgenden Aufklappboxen werden einzelne Aspekte zu Erkrankungen und zur Prüfungsunfähigkeit dargestellt und erläutert.
Eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit ist ebenfalls zu verneinen, wenn der Prüfling für seine Indisposition selbst verantwortlich ist (z.B. bei Einnahme von Tranquilizern (Vgl. BayVGH, Beschl. v. 23.10.1989, 3 B 88.01445), bei Einnahme von Schmerzmitteln oder Doping-Mitteln ohne ärztlichen Rat (Vgl. Zimmerling/Brehm, Der „gedopte“ Prüfling, Forschung & Lehre, 2008, S. 522 f.). Auch ist ein nikotinabhängiger Prüfling, dessen Denk- und Konzentrationsvermögen vom Rauchen abhängt und dem keine Rauch-Gelegenheit während der Prüfung geboten wird, nicht als prüfungsunfähig einzustufen (Klenke, Rechtsfragen des Justizprüfungsrechts, NWVBl. 7/1988, S. 199, 201).
Bei psychischen Störungen ist wie folgt zu differenzieren:
Von der Rechtsprechung allgemein anerkannt ist, dass (bloßer) Prüfungsstress und (bloße) Examensängste (in der Vergangenheit in Gerichtsurteilen unpräzise bzw. unzutreffend bezeichnet als „Examenspsychose") grundsätzlich zum Risikobereich des Prüflings gehören, d.h. sie werden nicht als Grund für eine Prüfungsunfähigkeit akzeptiert, weil jeder Prüfling ihnen mehr oder minder ausgesetzt ist und sie Ausdruck der persönlichen Leistungsfähigkeit sind (Vgl. z.B. OVG NW, Beschl. v. 18.09.2013, 14 B 982/13 – juris; OVG NW, Beschl. v. 16.02.2004 – 14 A 3057/03 – Rdnr. 14 und 17/18, juris; VG Dresden, Beschluss v. 19.07.2004, 5 K 1760/04 – Rdnr. 37, juris). Eine solche prüfungsrechtlich unerhebliche Beeinträchtigung liegt auch grundsätzlich vor, wenn ärztlich eine „schwere depressive Verstimmung“, „schwere depressive Reaktion bei psychosozialer Belastungssituation“ oder ein „psychosomatisches Syndrom“ bzw. eine „reaktive Depression mit Versagensängsten bei Leistungsproblematik“ attestiert wird (Brehm, Robert / Zimmerling, Wolfgang: Die Entwicklung des Prüfungsrechts seit 1996, NVwZ 2000, S. 875, 883). Denn die Fähigkeit, die Examensangst zu beherrschen bzw. (bei Dauerleiden) konstitutionelle Mängel auszugleichen, gehört zum regulären Leistungsbild des Prüflings und ist für die Beurteilung der Befähigung, die durch die Prüfung festgestellt werden soll, bedeutsam Brehm/Zimmerling, a.a.O.).
Allerdings kommt es stest auf den Einzelfall an und Betroffene sollten sich in Angrenzung zum Thema Prüfungsunfähigkeit im Vorfeld von Prüfungen mit den Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs befassen. Teilweise lassen sich durch reine organisatorische Maßnahmen (z.B. gesonderte Prüfungsraum) Prüfungssituationen entschärfen.
Die Gerichte haben aber eine psychische Störung nur dann als Grund für eine Prüfungunsfähigkeit anerkannt, wenn die psychischen Beeinträchtigungen erkennbar den Grad einer psychischen Erkrankung erreichen. So wurden Krankheitsbezeichnungen wie "depressiv-hysterische Neurose" oder "episodisch paroxysmale Angst (ICD F 41.0 - kurz auch Panikstörung genannt)“ anerkannt. Werden dagegen Beeinträchtigungen ohne Bezug auf eine diagnostizierbare psychische Störung attestiert, zum Beispiel als „psychosomatisches Syndrom“ bzw. „reaktive Depression mit Versagensängsten bei Leistungsproblematik“, wird eine Beeinträchtigung unterhalb der Schwelle einer psychischen Störung angenommen und die Anerkennung der Prüfungsunfähigkeit verweigert. Wichtig ist also die genaue Diagnose, die von ärztlicher Seite gestellt wird (OVG NW, Urteil v. 5.6.2003 – 14 A 624/01- Rdnr. 35/36, juris; OVG NW, Urteil v. 2.10.2003 – 14 A 3044/01 – Rdnr. 18 ff., juris), die aber im Zusammenhang mit der Prüfungsunfähigkeit nicht vorgelegt werden muss. Hier haben die Gerichte in der Vergangenheit im Einzelfall sogar selbst eine fachliche Einschätzung vorgenommen (vgl. OVG NW, Urt. v. 5.6.2003, 14 624/01– juris), in der das Gericht ausführt, die Diagnose Panikstörung nach ICD F 41.0 sei im entschiedenen Fall nicht richtig gestellt worden, da die Voraussetzung von mindestens zwei unerwarteten Panikattacken vom Amtsarzt und vom Psychologen nicht festgestellt worden sei (OVG NW, s. auch Urteil v. 2.10.2003, 14 A 3044/01- a.a.O.).
Prüfungsrechtlich relevant und zu berücksichtigen sind psychische Beeinträchtigungen oder Erkrankungen nur, wenn sie akuter Art sind und es sich nicht um ein Dauerleiden oder eine chronische Erkrankung handelt, da letztere prägend für die persönliche Leistungsfähigkeit sind. Selbst eine spätere Heilungschance rechtfertigt nicht die Annahme einer akuten Erkrankung im prüfungsrechtlichen Sinn (BVerwG, Beschl. v. 13.12.1985 - 7 B 210/85, Rdnr. 7, juris; VG Arnsberg, Urt. v. 19.2.2010, 9 K 1116/08 – juris).
Sowohl bei somatischen als auch bei psychischen Erkrankungen sind nur akute Formen zu berücksichtigen, nicht dagegen Dauerleiden oder chronische Erkrankungen[1] (hierzu siehe unter Nachteilsausgleich). Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine auf unbestimmte Zeit begründete generelle Einschränkung der durch die Prüfung festzustellenden Leistungsfähigkeit des Prüflings zur Folge haben. Die juristische Begründung für die prüfungsrechtliche Unerheblichkeit lautet, dass das Dauerleiden ja gerade das normale und reguläre Leistungsbild des Prüflings bestimmt.[2]
Folgende Beispiele für Dauerleiden oder chronische Erkrankungen, die regelmäßig als prüfungsrechtlich irrelevant einzustufen sind, finden sich in Rechtsprechung und Literatur (nicht abschließend!):
Zu den psychischen Erkrankungen, die prüfungsrechtlich als nicht berücksichtigungsfähiges Dauerleiden eingestuft werden, gehören z.B.
Bei einem Dauerleiden ist es nach der Rechtsprechung prüfungsrechtlich nicht erheblich, ob sich auch Stadien der Krankheitsentwicklung bestimmen lassen, in denen das Leistungsvermögen nicht eingeschränkt ist.[9] Ein Dauerleiden bleibt also prüfungsrechtlich ein Dauerleiden, egal wie stark es gerade im Zeitpunkt der Prüfung den Prüfling beeinträchtigt.
Nachweise:
1 Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rdnr. 258.
2 Vgl. z.B. OVG NW, Beschl. v. 28.4.2010 – 14 A 546/10, Rdnr. 7, juris.
3 VG Freiburg, Beschl. v. 30.8.2007 – 2 K 1667/07 – juris.
4 VG Düsseldorf, Urteil v. 15.3.2013 – 15 K 4869/12 – juris, Rdnr. 21.
5 So das OVG NW, Beschluss vom 21.6.2006, 14 E 374/06, juris, Rdnr. 7 unter Hinweis auf Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Auflage 2002, S. 43 "Allergie".
6 OVG NW, Urt. v. 8.6.2010 – 14 A 1735/09.
7 BVerwG, Beschl. v. 13.12.1985 – 7 B 210/85.
8 So VG Frankfurt, Urteil vom 21.5.2003 – 12 E 3312/01 – juris, Rdnr. 29.
9 OVG NW, Beschl. v. 28.4.2010, a.a.O., Rdnr. 10.
Liegen mehrere Ursachen für eine Störung der Leistungsfähigkeit vor, ist zu differenzieren, welche Ursache die maßgebliche ist: Wenn die Ursache, die zum Rücktritt wegen Prüfungsunfähigkeit berechtigen kann (also eine akute Erkrankung, kein Dauerleiden), für die gesundheitliche Beeinträchtigung des Prüflings wesentlich ist, ist der Rücktritt i.d.R. zu genehmigen. So können auch die starken Magenkrämpfe eines Prüflings (akute Erkrankung), die aufgrund der Stresssituation der Prüfung (Prüfungsstress ist prüfungsrechtlich irrelevant, s.o.) die Beschwerden verstärken, zur Genehmigungsfähigkeit des Rücktritts führen, selbst wenn eine zusätzliche chronische Erkrankung als dominante Ursache für die Gastritis in Betracht kommt (Vgl. BVerwG, Urt. v. 2.11.1984 , 7 C 27.84 – juris). Sind einzelne Erkrankungsursachen nicht eindeutig vorherrschend, ist im Zweifel, bei prüfungsrechtlicher Berücksichtigungsfähigkeit der Auswirkungen, zugunsten des Prüflings zu entscheiden Vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rdnr. 264).
Rücktrittsgesuche bzw. Anträge auf Fristverlängerung aus gesundheitlichen Gründen sind von Betroffenen unverzüglich bei der zuständigen Stelle einzureichen und glaubhaft zu machen.
An die Unverzüglichkeit wird von der Rechtsprechung ein sehr strenger Maßstab angelegt. Wenn es dem Prüfling möglich war, eine*n Ärzt*in zu kontaktieren, dass ist es dem Prüfling auch möglich, sich sofort bei der Hochschule oder den Prüfer*innen zu melden, zumindest um kurz das Problem zu benennen.
Für die Prüfung des Anliegens (Rücktritt / Fristverlängerung etc.) ist nach § 63 Abs. 7 des Hochschulgesetzes NRW für den Nachweis der krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit (PU) eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der PU einzureichen. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist unzureichend. Ein entsprechendes Formular findet sich hier verlinkt.