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Paradox 2015

Logo des Zentrum für Ästhetik
© Veit Mette

Material

Schlaglichter auf den Paradoxiebegriff

Paradoxien erscheinen als logische Rätsel oder theoretische Inkonsistenzen, die es aufzulösen gilt. In der Regel geht es allerdings nur um scheinbare Paradoxien, die künstlich erzeugt sind und sich leicht auflösen lassen. Echte Paradoxien sind dagegen unauflösliche dynamische Systemeigenschaften.

Der moderne, logisch streng definierte Paradoxie-Begriff hat sich erst seit gut 200 Jahren herausgebildet. Ihm voraus geht eine semantisch sehr viel breitere Begrifflichkeit. Im antiken Sinne ist paradox gleichbedeutend mit wunderbar, überraschend, den Erwartungen entgegenlaufend. Aristoteles definierte das Paradoxon – schon bemerkenswert modern – als Verlust der Bestimmbarkeit und damit der Anschlussfähigkeit für weitere Operationen. Im traditionellen kirchlichen Kontext wurde paradox lange Zeit als übervernünftig verstanden. Für Sören Kierkegaard war dagegen die Idee des Christentums selbst das Paradox in seiner Spannung von logisch Inkompatiblem wie Ewiges und Zeitliches, Transzendenz und Immanenz – eine Position, mit der er enormen Einfluss auf die Theologie und Philosophie des 20. Jahrhunderts ausübte.

Denis Diderot beschrieb im 18. Jahrhundert die Paradoxie des Schauspielers, der nur auch emotional überzeugend sein könne, wenn er sich gerade nicht mit seiner Rolle identifiziere, sondern mit analytischer Distanz spiele. Friedrich Hölderlin sah im Paradoxen einen Schlüssel zur Tragödie, und davon nicht weit entfernt, war für den Literaturwissenschaftler Richard Sewall die Erkenntnis von der Unvermeidbarkeit des Paradoxen grundsätzlich für die tragische Form. Autoren der Romantik pflegten nicht selten ein paradoxes Verhältnis zum Publikum: Die höhere romantische (Kunst-) Wahrheit wurde ihm nicht offen zugänglich gemacht, sollte aber dennoch mit Beifall akzeptiert werden – eine Haltung, deren Nachhall sich seitdem in den künstlerischen Avantgarden immer wieder nachweisen lässt.

Der große Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann gilt vielen zumindest aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht als der wichtigste Paradoxie-Theoretiker des 20. Jahrhunderts. Im Vorfeld und während des Festivals ist nicht nur sein legendärer Zettelkasten in der Kunsthalle ausgestellt, auch der eine oder andere Festival-Beitrag dürfte sehr unmittelbar von Luhmann inspiriert sein.

Das Ästhetik-Festival bewegt sich auf der Grenze von Kunst und Wissenschaft. Ein Verdacht drängte sich bei der Vorbereitung auf: Könnte es sein, dass Wissenschaft grundsätzlich darauf bedacht sein muss, Paradoxien zu vermeiden, unsichtbar zu machen, während Kunst genau umgekehrt bestrebt ist, das Paradoxe auszustellen und zu einem Motor von Kreativität zu machen? Trotz solcher Differenzierungsversuche: Bei der Allgegenwart des Paradoxen lässt sich das Thema natürlich in drei Tagen nicht einmal ansatzweise erschöpfend behandeln. Wir schlüpfen stattdessen gemeinsam in die Rolle des Versuchskaninchens, das an den Paradoxien schnuppert, und lassen uns von überraschenden Ergebnissen, Widersprüchlichkeiten und dem künstlerischen Umgang mit dem Paradoxen faszinieren.

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