Neun aufsehenerregende Plakate von Gestaltungs-Studierenden der Fachhochschule Bielefeld mischen das Stadtbild auf. Motto: „Schlechter Geschmack“. Entstanden sind sie in einem Seminar des Grafikdesigner-Duos 2xGoldstein. Die Plakataktion ist gleichzeitig der Beitrag der FH zum diesjährigen art/science-Festival.
Hehe. Da lacht der Grafikdesigner. Allein diese Schriftart … Die Comic Sans liegt nun wirklich schon sehr lange im Giftschrank der Typografie. Und dann der Satz an sich: „ICH WEIß GRAPHIK DESIGN.“ Falsches Deutsch, fehlerhafte Getrenntschreibung, „Grafik“ altmodisch mit „ph“ und ein „ß“, wo aus Gründen der Einheitlichkeit korrekterweise ein Doppel-S stehen müsste. Dazu noch diese abgegriffene Illustration im Stil von US-Comics der 50er-Jahre. An diesem Plakat – entworfen von Jonathan C. Mientus – ist wirklich alles schlecht gestaltet.
Oder ist es etwa so sehr missraten, dass es schon wieder richtig gut ist? Das fragen sich in diesen Tagen hoffentlich viele Bielefelderinnen und Bielefelder, die zwischen Feilenstraße und dem Kreisel vor dem neuen Bahnhofsviertel unterwegs sind. Denn dort hängen neun Plakatentwürfe von Studierenden der Fachhochschule (FH) Bielefeld, die auf ein heiß diskutiertes Thema zielen: Was ist schlechter Geschmack?
Die Plakate der Studierenden der FH Bielefeld wollen im Stadtbild auf das Festival aufmerksam machen, aber jedes einzelne spricht auch für sich selbst. Entstanden sind sie in einem Seminar, das das renommierte Grafikdesign-Duo 2xGoldstein im Fachbereich Gestaltung gegeben hat. Hinter dem Label stecken die Zwillingsbrüder Andrew und Jeffrey Goldstein aus Karlsruhe. An der FH Bielefeld kennt man die Unzertrennlichen noch gut: Von 2008 bis 2013 hatten sie hier einen Lehrauftrag, den sie hauptsächlich der Plakatgestaltung widmeten. Mit dem „schlechten Geschmack“ feierten sie nun ein Comeback in OWL.
„Das Thema stellte sich als nicht so einfach heraus, wie wir am Anfang dachten“, sagt Jeffrey Goldstein stellvertretend für 2xGoldstein. „Also haben wir eine längere theoretische Einführung gegeben.“ Maßgeblich dafür war die Kulturtheorie von Pierre Bourdieu, einem der einflussreichsten Soziologen des 20. Jahrhunderts. „An einem Schaubild haben wir erklärt, wie seine wichtigsten Begriffe zusammenhängen, etwa Kapital, Habitus, Distinktion und Position im sozialen Raum“, so Goldstein. „Geschmack ist in diesem Zusammenhang immer als Abgrenzung zu verstehen.“
Was so abstrakt klingt, haben die Studierenden mitunter umso konkreter in Bildwelten umgesetzt. Paul Düstersiek zeigt mit seinem Plakat „JUST DON’T“, wie Abgrenzung durch Mode funktioniert. Sein grausamer Zusammenschnitt von Kleidungsstücken der Marke Camp David ist ein Statement zu Ü-40-Männern, die freiwillig ihre Zugehörigkeit zum Dieter-Bohlen-Stil und der DSDS-Kultur bekennen. „Die Schwierigkeit hierbei ist, das so hinzubekommen, dass man niemanden diffamiert“, erklärt Goldstein. „Das ist Paul sehr gut gelungen.“
Schließlich ist man haltungsmäßig beim „schlechten Geschmack“ nie ganz auf der sicheren Seite. Er kann Kommerz werden, wie bei Camp David. Er kann Trash werden, wie die Filme von John Waters („Hairspray“). Er kann Kultfiguren wie Guildo Horn gebären, die Kunstwelt auf den Kopf stellen (Jeff Koons, Damien Hirst, John Bock) und sogar eine globale kulturelle Bewegung hervorbringen (Punk). Und immer sind die Grenzen fließend.
Manchmal ist es auch einfach nur Kitsch. Dann muss es dringend weg, wie Leonie Knapp findet. Die Studierende demonstriert auf ihrem Plakat am Beispiel einer Nippesfigur, wie das zu bewerkstelligen wäre: auf den Mond schießen, mit dem Hammer zertrümmern oder doch lieber verschenken? „Ihre Arbeit ‚11 Wege sich vom Schlechten Geschmack zu verabschieden‘ zeigt, dass man dieses Thema am besten humorvoll bewältigt“, sagt Jeffrey Goldstein. „Und zwar ohne dabei verletzend zu werden.“
Jedoch funktionieren auch rein typografische Ansätze. Antonia Ancot bedient sich in ihrer Arbeit bei der 3-D-Ästhetik der 80er-Jahre: Setzt man eine rote Folienbrille auf, liest man auf dem Plakat „echter Geschmack“; durch eine blaue Brille geschaut, wird daraus „schlechter Geschmack“. Ein Vexierbild, das deutlich macht, dass Geschmack immer eine Frage der Perspektive ist.
„Auf der Suche nach den richtigen Bildern haben viele der Studierenden sehr tiefgreifende Erfahrungen gemacht“, sagt Goldstein. „Sie mussten ja immer wieder ihren eigenen Geschmack hinterfragen – da gab es nahezu psychoanalytische Momente.“ Und was hält der Dozent persönlich für schlechten Geschmack? „Wenn man nicht weiß, dass man selber auch schlechten Geschmack hat. Das ist die Lehre, die man aus dem Ganzen ziehen kann: Jeder hat schlechten Geschmack.“